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7 Jahre Abenteuer Teil 5: Escape Games und Videoblüte
Vom: 16.01.2021

2015: Escape Games und Videoblüte

 

Wie aufwändig wäre es eigentlich, aus den Adventure-Nachrichten eine Show auf YouTube zu machen und am Ende auf ein Thema ausführlicher einzugehen?“. Diese Frage trieb mich Anfang des Jahres 2015 um. Die Idee zur Adventure-Treff-Show war geboren. Das Ziel: Unseren YouTube-Kanal weiter nach vorne und ein wenig mehr Übersicht in die Newsflut zu den vielen neuen Titeln bringen. Denn nicht nur auf der gamescom, auch im Redaktionsalltag kämpfte inzwischen eine Unmenge an Titeln um Aufmerksamkeit. Rückblickend ist es spannend zu sehen, wie sehr das Konzept der Show an sich intern diskutiert wurde – Teile der Redaktion waren äußerst skeptisch und sich sogar unsicher, ob überhaupt eine Pilot-Folge ausprobiert werden sollte. Momente wie diese, die durch starkes Bremsen geprägt waren, zehrten enorm an meiner Kraft, schließlich war mir die Arbeit für den Treff (zu) wichtig. Glücklicherweise ließ ich mich nicht zu sehr entmutigen und bekam ebenso viel Unterstützung aus der Redaktion.

Und so räumte ich im Juni eine Wand in meinem Arbeitszimmer frei und probierte eine erste Folge aus. Noch in der Produktion stellte sich heraus: Die Antwort auf die Frage, die ich mir zu Beginn des Jahres gestellt hatte, war: Ziemlich. Nicht nur die Recherche vorab, auch die Aufzeichnung der Show selbst nahm viel Zeit in Anspruch. Zumal es zu diesem Zeitpunkt noch keine günstigen Teleprompter-Lösungen gab. Ich musste meine Texte tatsächlich vollständig auswendig lernen – viele Versuche bei der Aufzeichnung waren die Folge. Zu guter Letzt war auch der Schnitt durch die vielen Effekte kein schneller Vorgang.

Doch all die Mühe lohnte sich: Mit über 600 Aufrufen in den ersten Tagen war die erste Folge ein großer Erfolg. So produzierte ich nur wenige Tage später gleich eine zweite Folge , für die es mir gelang, einen exklusiven Einblick in Armikrog zu organisieren.
Für die Show hatte ich große Hoffnungen: Ich stellte mir vor, ein großes, vielgesehenes Format aufzubauen, das pro Folge mindestens 1.000 Zuschauer an sich binden konnte. Folge 8 schaffte es auch auf diese Abrufzahlen – weil sie ein Interview mit Rand Miller zu Obduction enthielt. Doch das Interesse an der Show sank ab diesem Zeitpunkt langfristig. Nach 11 Folgen entschloss ich mich dazu, nicht zuletzt aus Zeitgründen, die News wegzulassen und mich ganz auf Interviews und Specials zu konzentrieren. Der erhoffte Anstieg bei den Zuschauerzahlen blieb dabei aus, ich gab dem Projekt jedoch noch weiter Zeit. Bis zum Jahresende produzierte ich insgesamt 15 Folgen der Show.

 

2015 war auch das Jahr des Durchbruchs von Escape Rooms. Zwar gab es die ersten Räume schon seit längerem, doch nun eröffneten immer mehr Anbieter in immer mehr Städten ihre Live-Abenteuer. Besonders für Basti und für mich entwickelten sich die Spiele zu einer großen Leidenschaft. Heute haben wir jeweils über 60 Räume gespielt und waren hautnah an der Entwicklung der Live-Abenteuer dran: Vom spartanisch und häufig mit IKEA-Möbeln eingerichteten Rätselraum der ersten Generation bis hin zur cineastischen Inszenierung von spannenden Geschichten in Räumen der Generation 3+.


Bei einer Tour durch Würzburg und Nürnberg testeten wir erstmals mit einem größeren Team gleich drei Räume am Stück. Auf Adventure-Treff riefen wir die Unterkategorie Life Games ins Leben. Bis 2018 testeten wir 40 Räume und berichteten – natürlich stets spoilerfrei – von unseren Erfahrungen. Bis heute sind die Räume eine große Leidenschaft von mir, auch wenn ich es inzwischen sehr genieße, sie einfach nur so auf mich wirken lassen zu können, ohne über einen Testbericht oder Videoeinstellungen nachdenken zu müssen.

Experimentierfreudig waren wir auch im Bereich Let’s Plays. Als mein Redaktionskollege Michael Stein zu Besuch kam, verbrachten wir den Abend mit gemeinsamem Spielen. Als erstes griffen wir nach Reading the Dead – ein Wimmelbildspiel, das seit längerem unangetastet in meinem Regal stand. Wir überlegten, dass es doch im Sinne der Integration dieses häufig belächelten Rand-Genres gut sein könnte, vorurteilsbehaftet vorurteilsfrei an den Titel heranzugehen. Heraus kam ein 35-minütiges Video, das alle Vorurteile bestätigte, unglaublichen Spaß machte und absolut passend mit einem Absturz des Spiels endete. Mit über 1.000 Aufrufen war das Video auch bei den Lesern ein großer Erfolg.


Dieses erfolgreiche Let’s Play nahmen wir später zum Anlass, auch einen Durchgang von Layers of Fear und Firewatch zu produzieren – womit wir spektakulär scheiterten. Nicht nur blieben die Zuschauerzahlen unter 20, es hagelte auch noch vernichtende Kommentare. Wenig überraschend sind die Videos heute nicht mehr verfügbar und wir beschlossen, diese Richtung aufzugeben.


Test-technisch hatte sich die Redaktion wieder gefangen. Durch gut organisierte Aufgabenverteilung und ein hohe Motivation konnten wir über 30 Tests veröffentlichen. Sehr schön zu sehen ist anhand der Veröffentlichungsliste, dass der Trend zu „psychologischen Horror-Adventures“ an Fahrt aufnahm. Nach Pineview Drive versuchten sich die Entwickler am ebenso furchtbaren Joe’s Diner, an dessen Verriss in Tagebuchform ich sogar noch etwas mehr Spaß hatte als im Vorjahr. Daedalic verlegte mit Decay – The Mare einen ähnlich leeren Horrortitel. Zu den besseren Erfahrungen gehörte hingegen The Park, das Exploration und Horror verknüpfte und eine gute Inszenierung besaß. Überhaupt häuften sich Spiele, die auf den Grusel-Bereich setzten. Auch der Überraschungshit Fran Bow baute ganz auf unheimliche Stimmung, Technobabylon erzählte einen fesselnden Thriller mit unheimlichen Abschnitten, Until Dawn konzentrierte sich auf Splatter, SOMA und Stasis wollten ebenfalls das Fürchten lehren. Wie ein äußerst unangehmer Fiebertraum fühlte sich Albedo an, dessen Durchspielen für den Test mir enorm viel abverlangte. Deutlich subtileren Horror erzeugte Nevermind, in dem die Spieler in das Unterbewusstsein von Patienten abtauchen. Zu diesem Spiel produzierte ich auch ein kurzes Halloween-Spezial, das einen Widerspruch sehr schön deutlich machte: Eigentlich bin ich kein großer Horror-Fan und fürchte mich schnell und sehr. Gleichzeitig blieben solche Titel oft an mir hängen und irgendwie waren sie dann doch auch faszinierend.

 

Neben vielen tollen Indie-Überraschungen wie das bereits erwähnte Fran Bow und das absolut geniale Her Story konnten wir uns auch über große Produktionen freuen: Broken Age wurde endlich vollständig und es war gut geworden – wenn auch nicht so wie viele Hardcore-Fans es sich erwartet hatten. Mit Sherlock Holmes – Crimes and Punishment gelang Frogwares ein fantastisches, vielseitiges und modernes Adventure, das enormen Spaß machte. King Art veröffentlichte das lang erwartete Book of Unwritten Tales 2, das zwar gut war, allerdings nicht so viel einbrachte, wie erhofft. Ebenfalls eine Fortsetzung eines beliebten Adventures wurde von Animation Arts veröffentlicht: Lost Horizon 2. Mit deutlicher Verspätung erschien auch der Nachfolger des Knet-Adventures Neverhood, Armikrog. Diese beiden Titel blieben jedoch hinter den hohen Erwartungen der Fans zurück. Einen Volltreffer landete indes – fast schon wie erwartet – Life is Strange, dessen Geschichte, Erzählweise und Präsentation bis heute seinesgleichen sucht.


Während wir uns über die vielen guten Indie- und großen Titel freuten, wurde auch immer deutlicher, dass sich eine Kluft innerhalb der Adventure-Fans weiter vertiefte: Die Verfechter absolut klassischer Adventures und die Fans neuerer Genre-Formen. Erstere waren eine sehr laute Gruppe. Ich wurde zusehends müde, nach den aufwändig produzierten Tests wieder einmal lesen zu müssen, nach Monkey Island habe es einfach keine Adventures mehr gegeben, das Genre sei tot und dieser neue Kram habe nichts mit Adventures zu tun – wenn es überhaupt Kommentare gab. Zunehmend gingen mir auch pauschale Aussagen auf die Nerven, die bei einer Spielzeit von weniger als zehn Stunden von „nicht sein Geld wert“ sprachen. Gerade mit Blick auf die vielen Stunden, die ich in nicht so gute Spiele investierte, um einen guten Test schreiben zu können, wünschte ich mir immer mehr, dass Entwickler die Frage nach der Spielzeit endlich komplett über Bord werfen würden und nur so viel anlegten, wie ihre Geschichte und die Spielmechanik auch tragen konnten. Ein gutes vierstündiges Spiel war mir immer wichtiger geworden, als zehn Stunden Kaugummierzählung und Backtracking. Aus meiner Sicht war ein Titel wie The Longest Journey, den ich pflichtbewusst mit einem Freund in endlos vielen Spielesitzungen nachholte, der personalisierte Albtraum, dessen anhaltende Faszination sich aus meiner Sicht nur durch damalige Umstände und anschließende Verklärung logisch erschließen lassen können.

Ein weiteres Problem begann sich abzuzeichnen: Spiele, die den Fokus noch auf klassischen Adventures hatten (wie etwa Book of Unwritten Tales 2), verkauften sich immer schlechter. Die aggressive Preispolitik durch ständige Sales und schnell fallende Preise für die Box halfen dabei auch nicht. Der Markt für sehr klassische Adventures war gleichzeitig ebenfalls enorm übersichtlich. Eine Zerreißprobe, die das Genre noch stark beeinflussen würde.

 

Doch 2015 war ein sehr gutes Jahr für offene Adventure-Spieler. Das Genre schien gerettet, die Zahl der Neuveröffentlichungen und Ankündigungen endlos. Das zeigte auch die gamescom, auf der wir, aus einer spontanen Schnapsidee heraus, das wohl unvorbereitetste und lustigste Interview führten, dass wir je gefilmt haben. Durch das Durchforsten von Spielelisten hatte Basti kurz vor der gamescom herausgefunden, dass Daedalics höchst geheimes, neuestes Projekt ziemlich sicher State of Mind heißen würde und von Martin Ganteföhr geschrieben wurde. Hieraus entstand der Plan, den ohnehin etwas planlosen Jan „Poki“ Müller-Michaelis mit einer ungewöhnlichen Interviewtechnik so zu verwirren, dass er aus Versehen Details ausplauderte, die er nicht hätte erwähnen dürfen. Die Idee war einfach: Jan und ich stellten je eine Frage und Poki durfte sich eine davon aussuchen. Nachdem wir diesen Modus erklärt hatten, bluffte Jan bei der ersten Frage, in dem er einfach den von uns herausgefundenen Titel nannte. Poki ging dadurch davon aus, dass es sich um eine freigegebene Information handelte und erzählte uns alles zum Titel. Im Schnitt nahmen wir die Tonspur heraus und packten einen Zensurgnom aus Harveys neue Augen über Pokis Mund, denn die Informationen durften ja noch nicht veröffentlicht werden. Es folgten chaotische Fragen mit unglaublich lustigen Antworten. Im Schnitt war dann schnell die Idee geboren, diese knapp acht Minuten an Merkwürdigkeit als „Fast ein Interview" zu bezeichnen. Dass hieraus eine Serie entstehen würde, die immer verrücktere Formen annehmen würde, war uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar.


Auch Bruno bekam noch einmal einen Auftritt, bevor es auf die legendäre Adventure-Treff-Party ging. Eine äußerst gelungene und spaßige gamescom ging zu Ende mit dem Ausblick auf ein weiteres, tolles Adventure-Jahr.

Hans Pieper

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