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Test

von  Benjamin Klemen
28.03.2012
The Tiny Bang Story
Getestet auf Windows, Sprache Deutsch

The Tiny Bang Story vom russischen Entwickler Colibri Games ist rasch erzählt: Eine Miniaturwelt namens Tiny Planet wird von einem Meteoriten getroffen und droht nun auseinander zu brechen. Dies zu verhindern, ist Aufgabe des Spielers. Was jedoch nach dem Katastrophenszenario eines Roland Emmerich-Streifens klingen mag, entpuppt sich als überwiegend entspannte Reise an einen Ort, dessen Bewohner trotz ihres möglichen Untergangs die Ruhe selbst sind.

Zunächst sucht man eine Story

Für Gewöhnlich erwartet man von einem Causaltitel keine ausgefeilte Geschichte. Lautet dieser Titel jedoch The Tiny Bang Story, so erhofft man sich möglicherweise doch eine erzählerische Tiefe, die das Spiel ganz und gar nicht bietet. Abgesehen von der Vorgeschichte, die sich in einem Satz zusammenfassen lässt, verfügt der übrige Spielverlauf über keinerlei Erzählung. Und selbst diese Vorgeschichte, also der Einschlag des Meteoriten, scheint den Planetenbewohnern entgangen zu sein; während der Spieler den Planeten rettet, gehen dessen winzige Bewohner ihrer alltäglichen Geschäftigkeit nach. Und die besteht vornehmlich darin, gemütlich irgendwo zu sitzen. Mit einer glaubwürdigen Storyentwicklung hat das Ganze also nichts zu tun. Ebenso verhält es sich mit unserer Rettungsmission; gerettet wird nämlich, indem die Bruchstücke des fragilen Planeten per Mausklick von der Oberfläche eben dieses Planeten gesammelt und daraus die Welt Stück für Stück wieder zusammengesetzt wird.

Das Rätsel, wie es das alte Mütterchen ohne Aufzug in den <br /><br />Turm schafft, blieb bis zum Ende ungelöst

Keine Panik! Wird sich schon alles legen (lassen)

Dass die Vorgeschichte von The Tiny Bang Story auch als ''Handlung'' eines analogen Puzzles herhalten könnte, ist kein Zufall; praktischerweise fügen sich die Planetenbruchstücke wie Puzzelteile ineinander, sodass der Planet im wahrsten Sinne des Wortes zusammengelegt wird. Doch bevor es ans Puzzeln geht, gilt es die verstreuten Teile ausfindig zu machen. Dass sich manchmal lediglich der Umriss der Puzzelstücke von seiner Umgebung abhebt, erschwert ihre Suche. Zusätzlich sind immer wieder bestimmte Bauteile, etwa Zahnräder, Rohrelemente, Glühbirnen oder Schrauben, aufzuspüren um damit eine Apparatur zu komplettieren. Dabei kommt es leider oft vor, dass beispielsweise ein Zahnrad in einer Wiese liegt, für das man aber noch keine Verwendung weiß. So lange die Maschine nicht gefunden ist, welcher dieses Zahnrad fehlt, lässt es sich nicht einsammeln. Da die Locations nie über drei bis vier Räume oder Landschaften hinausgehen, entstehen dadurch aber keine langen Laufwege; zumal man sich Wimmelbild-typisch in 1st-Person-Perspektive von Ort zu Ort klickt anstatt die Orte durchlaufen zu müssen. Springen einem manche Gegenstände also gleich ins Auge, muss bei den meisten Dingen schon zwei- oder dreimal hingeschaut werden, um sie in ihren Verstecken zu entdecken. So etwa, wenn sich der Knauf eines Treppengeländers als eines der Rohrelemente herausstellt, die der Spieler sammeln soll. Lässt sich ein Gegenstand partout nicht finden, so kann man auf eine Hilfefunktion zugreifen, die allerdings nicht unbegrenzt verfügbar ist. Sie muss immer wieder ''aufgefüllt'' werden, indem kleine, über den Bildschirm schwirrende Fliegen einfangen werden. Braucht man deren Hilfe, so wird der unauffindbare Gegenstand von den kleinen Geschöpfen angeflogen und umkreist; also eine Hotspot-Funktion, die jedes Mal aufs Neue erarbeitet werden muss.

Nicht immer ausgewogene Rätselkost

Während die eine Hälfte der etwa fünfstündigen Spielzeit mit dem Suchen und Finden verbracht wird, besteht die andere Hälfte aus Maschinen- oder Logikrätseln. Ergibt das Lösen der Maschinenrätsel innerhalb des Spielgeschehens noch einen Sinn, etwa, wenn ein Aufzug repariert werden muss, um mit ihm das nächste Kapitel zu erreichen, werden die Logikrätsel nur selten in die Handlung eingebettet. Wenn die Bewältigung eines hölzernen Schiebespiels die Bedingung dafür ist, dass einer der Bewohner einen benötigten Gegenstand herausrückt, erfährt man nicht, weshalb diese Aufgabe erfüllen werden soll. Möglicherweise haben die kleinen Gesellen einfach keine Lust, sich selbst an die Aufgaben zu wagen. Ein paar davon, wenn auch nur wenige, sind nämlich unerwartet kniffelig geraten, sodass mancher Spieler irgendwann den Spaß daran verlieren dürfte. Besonders ärgerlich ist eine astronomische Gerätschaft, welche eine ganz bestimmte Justierung und damit nervige Millimeterarbeit verlangt; selbst Nikolaus Kopernikus hätte diese Apparatur wohl irgendwann frustriert zertrümmert. Manchmal setzt man auch einen Spielautomaten in Gang und muss darauf einen Level in alter Arcade-Manier meistern. Was wohl für kurze Abwechslungen vom ansonsten gemächlichen Gameplay sorgen sollte, erzeugt leider auch Frust, wenn beispielsweise ein U-Boot per Maus durch eine enge und verwinkelte Kanalisation manövriert werden muss; hier wäre eine direktere Tastatursteuerung angenehmer gewesen.

Die Mini-Spiele in Arcade-Manier können ganz schön nerven

Bilderbuchlandschaften

Grafisch vermag The Tiny Bang Story Kindheitserinnerungen zu wecken, denn die liebevoll handgezeichneten Landschaften, ihre drolligen Bewohner und deren ungewöhnliche Behausungen scheinen einem Bilderbuch zu entstammen. Und da schon so mancher Bilderbuchbewohner eine ausgediente Teekanne oder einen alten Schuh sein Zuhause nannte, sind diese Zeichnungen wohl eher als Hommage an klassische Bilderbuchwelten denn als innovative Kunstwerke zu verstehen. Animationen gibt es dabei kaum zu sehen. Trotz ihrer brenzligen Lage (Stichwort: Meteoriteneinschlag) sitzen Tiny Planets Bewohner vollkommen entspannt in ihren gemütlichen Stuben; nur ab und an geben sie ein kleines Lebenszeichen in Form eines wippenden Fußes oder einer rauchenden Pfeife von sich. Auch mit einem Mausklick lassen sich die Zwerge nicht aus ihrer Ruhe bringen und teilen uns lediglich in einer kleinen Gedankenwolke mit, was sie gerade beschäftigt; dabei handelt es sich entweder um einen verbummelten Gegenstand oder um ein zu lösendes Rätsel. Bei der Interaktion mit der übrigen Umgebung gerät ähnlich selten etwas in Bewegung. Beim Öffnen einer Luke wird schlicht von der geschlossenen zur geöffneten Luke übergeblendet, ebenso verhält es sich beim Umlegen von Hebeln oder Schaltern. Diese Animationsarmut ist zwar bedauerlich, unterstreicht jedoch den Bilderbuchcharakter des Spiels.

Dieser Herr bewohnt eine Teekanne

Angenehme Klänge

Die Erkundung von Tiny Planet wird durchgehend von entspannender, sphärischer Musik mit teils sehr schönen Melodien begleitet. Interaktionen wie das Öffnen von Luken, das Umlegen von Schaltern oder das Drehen einer Kurbel werden mit passenden Geräuschen versehen. Wird ein Gegenstand eingesammelt, raschelt es angenehm im Inventar und ist ein Rätsel gelöst, wird man mit einigen Xylophonklängen belohnt. Bemängeln könnte man bloß, dass auf dem winzigen Planeten kein einziges Wort gesprochen wird und die Bewohner allenfalls mal ein leises Seufzen oder Grummeln äußern; allerdings kommt auch dies wieder dem Bilderbuch-Flair zugute und hat bereits bei bestens funktioniert.

Fazit

In handgezeichneten Bilderbuchlandschaften verborgene Dinge finden, Rätsel lösen und dabei meditativer Musik lauschen; so könnte man sich ein paar erholsame Stunden mit The Tiny Bang Story vorstellen. Eine beschauliche und stimmige Atmosphäre lässt über die fehlende Handlung hinwegsehen und auch auf der technischen Seite gibt es, von den spärlichen Animationen einmal abgesehen, wenig zu beanstanden. Als störend erwies sich jedoch das zum Teil unausgewogene Rätseldesign sowie die lästigen Mini-Spielchen.

thumb
Mehrere Versionen Neben der Möglichkeit The Tiny Bang Story über Big Fish Games, Desura oder Gamesload als Download zu beziehen, sind auch zwei unterschiedliche Retail-Versionen des Spiels erhältlich. Während die Blue Bird-Ausgabe lediglich das Spiel enthält, kommt die Premiumedition von Headup Games in einer hochwertigeren Verpackung daher und beinhaltet neben dem Spiel auch ein Poster, Postkarten sowie den Soundtrack.

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Das letzte Mal, dass ich derart in Bilderbuchlandschaften versunken bin, dürfte ich etwa vier Jahre alt gewesen sein. Daran erinnert zu werden hat mir sehr gefallen. Auf die Erinnerung an nervige Arcade-Spielchen hätte ich jedoch verzichten können, rissen sie mich doch jedes Mal aus meinem fast schon meditativen Spielefluss. Ebenso verhielt es sich mit einigen Maschinen- und Logikrätseln, deren Kniffligkeit nicht so ganz zu dem ansonsten so gemächlichen Gameplay passen wollte.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • liebevoll gezeichnete Bilderbuchlandschaften
  • sphärische Musik mit schönen Melodien
  • beinahe meditatives Gameplay, ...
  • welches jedoch von einigen frustrierenden Maschienenrätseln ...
  • und nervigen Mini-Spielen unterbrochen wird
  • Bewohner völlig teilnahmslos
  • keinerlei Handlung