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Test

von  zeebee
01.10.2005
Fahrenheit
Getestet auf Windows, Sprache
  • Deutsch
  • Englisch

Ein eisiger Winter in New York

Die Geschichte beginnt gar nicht weit in der Zukunft im verschneiten New York. Es gibt einen Kameraflug übers Meer, Liberty Island bis hin zu einem kleinen Diner irgendwo in der Stadt. Die Bedienung hält ein Schwätzchen und die Gäste essen und trinken in aller Seelenruhe. Doch in der Toilette findet ein grausiges Schauspiel statt: ohne zu wissen warum steht Lucas Kane plötzlich hinter einem Fremden und sticht ihn mit mehreren Hieben in die Brust nieder. Dann, noch über der Leiche gebeugt, kommt Lucas wie aus einem Alptraum zu sich. Völlig schockiert über seine Tat steht er blutverschmiert in der Toilette und weiß nicht, warum er den Mord verübt hat – genau jetzt übernimmt der Spieler die Geschicke von Lucas.

Nun liegt es an euch mit Lucas zu entkommen und herauszufinden, warum er diesen Mord begangen hat und wer oder was dahinter steckt.

Um die Geschichte noch spannender zu machen spielt man auch die zwei Polizisten Carla und Tyler, die in dem Mordfall ermitteln. Nach Abschluss eines Kapitels könnt ihr meistens zwischen den drei Charakteren wählen und die Geschichte aus der jeweiligen Perspektive fortsetzen.

Rätsel, Atmosphäre: eng verzahnt

Das Spiel bietet keine Rätsel im engeren Sinn. Ihr müsst nie eine verzwickte Situation lösen, indem ihr etwa einen Zaun mit weißer Farbe anstreicht, damit die sich darunter herquetschende schwarze Katze als Stinktier durchgehen kann. Es gibt auch kein Inventar im Spiel. die wenigen Male bei denen ihr Gegenstände aufhebt, könnt ihr sie direkt wenige Meter zum Ziel in der Hand tragen. Wer hauptsächlich knobeln will, muss es woanders tun.

Wenn überhaupt hat das Spiel Rätsel im weiteren Sinne. In „Fahrenheit“ kommt es mehr darauf an, wie ihr euch verhaltet. Versucht ihr den kleinen Jungen zu retten, obwohl die Polizei euch dann sehen wird? Weist ihr eure Ex-Freundin mit scharfen Worten zurecht oder vertraut ihr euch ihr an? All dies beeinflusst die aktuelle Situation mitunter sehr drastisch und kann das Leben von anderen kosten – oder euer eigenes virtuelles Dasein. Die Macher haben diese Abläufe sehr geschickt ins Spiel eingewebt: man meint wirklich, dass man den Ablauf des Spiels mit seinen Entscheidungen beeinflusst. Tatsächlich machen die meisten davon im weiteren Spielverlauf aber kaum einen Unterschied. Die Illusion ist jedoch perfekt.

Auch lastet ein permanenter Zeitdruck auf dem Spieler: mal muss man Spuren beseitigen, bevor die Polizei eintrifft oder jemanden rechtzeitig vor einer Gefahr warnen. Selbst die Dialoge können nicht gemütlich abgearbeitet werden. Der Spieler muss sich schnell für die Themen entscheiden und kann unbeantwortete Frage im Nachhinein nicht noch einmal stellen. Doch gerade dieser Zeitdruck macht das Spiel zu etwas Besonderem, denn so wird der Spieler auch gezwungen, Fehler zu machen und kann nicht gemütlich alles durchplanen und ungescholten durch jede Situation gelangen. Alles läuft wie in einem Film ab, flüssig, ohne Frustmomente und äußerst spannend. Selbst das atmosphärisch so starke „Blade Runner“ wird in dieser Hinsicht in den Schatten gestellt.

Grafik

Verwaschene Texturen und zu wenig Polygone fallen beim ersten Blick auf die Grafik sofort auf. Die Charaktere und besonders die Umgebungen hätten mehr Polygone gut gebrauchen können. Dies ist wohl ein Kompromiss an die zeitgleiche Entwicklung der PC- und Konsolenversionen. Doch sollte man bei diesem Spiel ruhig einen zweiten Blick wagen, denn dann offenbaren sich die Stärken: die abwechslungsreichen Orte sind gekonnt in Szene gesetzt. Geschickt eingesetzte Grafikfilter kaschieren schwachen Texturen und kantige Umgebungen. Die Figuren bewegen sich so realistisch, dass man sich fragt, ob man selbst eigentlich realistisch genug läuft. Auch die filmreife Inszenierung, sei es durch waghalsige Kamerafahrten oder den aus der Serie „24“ bekannten Splitscreen, bringen dem Spieler mehr als ein „Oha!“-Erlebnis. Gelegentlich glaubt man wirklich, einen Kinofilm und kein Videospiel vor sich zu haben. Die Xbox Version bietet, bei passendem Equipment, sogar einen waschechten 16:9 Modus an. Wer auf cineastische Inszenierungen steht wird an Fahrenheit nicht vorbeikommen.

Klassik trifft das 21. Jahrhundert

Bei der Musik hat Quantic Dream alles richtig gemacht: von der ersten Spielminute an fesselt die Musik, gepaart mit den guten Kamerafahrten, den Spieler mit teils klassischen, teils modernen Musikstücken. Während in dramatischen Situationen gekonnt orchestrale Klänge die Brisanz der Szenen noch auf die Spitze treiben, gibt es in den wenigen ruhigen Situationen mildernde Hintergrundsmusik, teilweise auch Stücke, die wir schon im Radio gehört haben. Auch die Soundeffekte sind absolut stimmig: Helikopter, rasende Autos und Pistolenschüsse hören sich genau so an, wie Hollywood es uns allen gelehrt hat. Eigentlich hat dieses Spiel 10/10 Punkten für die Kategorie „Sound / Musik“ verdient.

Eigentlich. Wenn da nicht die mehr als durchschnittliche deutsche Synchronisation wäre. Die meisten Synchronsprecher geben sich zwar Mühe, aber genau diese hört man heraus. So wirken emotionale Szenen teilweise lächerlich aufgesetzt, Teeniekomödien lassen Grüßen. Manchmal ist nicht mal ein Bemühen hörbar und die Charaktere plappern monoton ihre Dialoge runter. Dass es auch anders geht beweist sich Atari gleich selbst, denn bei der englischen Sprachausgabe, die ebenfalls auf der Spiel-DVD zur Verfügung steht, geht es viel professioneller zur Sache: eine bessere Sprecherwahl und absolut überzeugende Aufnahmen lassen die deutschen Bemühungen mit Schamesröte im Boden versinken. Mein Tipp an dieser Stelle: stellt die Sprachausgabe auf Englisch um, optionale deutsche Untertitel können auch aktiviert werden.

Point and Click, click, click, click

Ihr habt „Grim Fandango“ und sogar „Simon the Socerer 3D“ erfolgreich durchgespielt? Hier kommt die nächste Stufe des Tastatur-Schwierigkeitsgrades: „Fahrenheit“. Mit einer Kombination von Maus und Tastatur, oder besser mit einem Gamepad, kommt es in Fahrenheit darauf an, an vielen Stellen im Spiel die richtigen abgebildeten Tasten zu drücken – Erinnerungen an alte C64-Klassiker mit Dauerfeuerjoysticks werden wach. Diese Szenen sind sehr häufig und mitunter minutenlang und fordern eure ganze Konzentration, denn wenn ihr nicht schnell genug seid, kann dies schnell mit dem Ableben eures Schützlings enden. Jedoch könnt ihr den Schwierigkeitsgrad jederzeit ändern, so werden die Situationen deutlich entschärft.

Während solche Geschicklichkeits-Einlagen eher ein schnelles Reaktionsvermögen erfordern, geht es bei der Steuerung der Charaktere mehr um geduldiges Gewöhnen an die Funktionsweise. Die Steuerung ermöglicht zwar kinoreife Schwenks und vielseitige Kameraperspektiven, doch bis man von diesen zehren kann, muss selbst der Shooter-geübte eine gewisse Zeit der Eingewöhnung überwinden. Auch nach längerer Zeit gibt es manchmal noch Probleme mit dem richtigen Navigieren der Figur.

Konsolenbesitzer haben dank des standardmäßigen Gamepads hier klar einen Vorteil, nicht zuletzt weil damit jeder Knopf sofort in Drückweite ist und man nicht eventuell erst die Hand von der Maus nehmen muss.

Es ist ein Action-Film-Adventure

Letztendlich bleibt nur zu sagen, dass sich „Fahrenheit“ in kein bekanntes Genre einordnen lässt. Während die Dialoge und der Spielablauf in einen Moment an ein Adventure erinnern, dreht sich alles in Sekundenbruchteilen und in bester Actionmanier muss um das Leben gerannt und die richtigen Ausweichknöpfe betätigt werden. Noch einen Augenblick später glaubt man, inmitten eines Kinofilmes zu sein – die treibende Musik, schwindelerregende Action und gekonnte Kameraführung lassen daran kaum einen Zweifel.

Wer sich auf diesen Mix einlassen will erlebt ein fantastisch inszeniertes Spiel, das genau genommen technisch wie spielerisch eher dünn ist und trotzdem auf eine Weise begeistert, die es so noch nicht gegeben hat.

Zumindest eine Zeit lang, denn mehr als acht bis zehn Stunden wird man kaum benötigen. Jedoch gibt es einen höheren Wiederspielbarkeitswert als bei den meisten anderen Adventures, denn dann kann man sehen, was passiert wenn man sich in diversen Situationen anders verhält. Nach dem Abspann hat man aber auf jeden Fall eine sonderbare Befriedigung das Spiel gemeistert zu haben, was für ein Genre auch immer damit erfunden wurde.

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Fahrenheit ist mit Sicherheit nicht für alle geeignet. Es gibt im gesamten Spiel vielleicht 2 Rätsel für klassische Adventurefreunde, ansonsten ist es durchweg etwas völlig anderes. Mir hat das Spiel jedoch sehr gut gefallen, die Geschichte wird interessant erzählt und mehr als in anderen Spielen fühlte ich mich in die kalte Welt von Fahrenheit versetzt. Der einzige Dämpfer ist die Geschichte, die im letzten Viertel auch für größte Akte-X Fans übertrieben wirkt. Wer ein völlig neues Spielgefühl erleben will, sollte unbedingt zuschlagen!

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • fulminante Inszenierung
  • sehr dichte Atmosphäre
  • fantastische Musik
  • schwache Grafik
  • sperrige Steuerung
  • Schwächen in der Story
  • kein "echtes" Adventure