Anzeige

Interviews

Jonathan Boakes (Erster Teil)
Gesprächspartner: Ingmar Böke
Sprache:
Vom: 09.04.2010

Über

Durch The Lost Crown und die Dark-Fall-Reihe machte sich der Entwickler Jonathan Boakes auch über die Indie-Szene hinaus einen Namen. Boakes ist der Kopf des im britischen Cornwall beheimateten Studios Darkling Room, welches er im Alleingang betreibt.



Adventure-Treff.de: Hallo Jonathan! Danke, dass du dir etwas Zeit für uns nimmst. Bitte stell dich und Darkling Room unseren Lesern kurz vor.

Jonathan Boakes: Hallo! Mein Name ist Jonathan Boakes, ich bin der Autor und Schöpfer des übernatürlichen Thriller-Adventures Dark Fall: Lost Souls. Einige Spieler werden mich von meinen vorherigen Titeln Dark Fall: The Journal, Dark Fall: Lights Out und The Lost Crown kennen. Ich lebe in England, welches mir als große Inspirationsquelle bei meiner Arbeit dient.

A-T: Dein kreativer Output beschränkt sich nicht auf die Entwicklung von Computerspielen, bitte erzähle uns zu Beginn etwas über die anderen kreativen Felder, in denen du dich betätigst und deinen Hintergrund, abseits des Spieleentwicklers Jonathan Boakes.

Jonathan: Schon lange bevor ich Spiele entwickelt habe, war ich Fotograf und ich betrachte mich auch jetzt noch als einen. Ich liebe es einfach, die Welt um mich herum auf Bildern einzufangen und zu versuchen, so viel an Atmosphäre und Details wie möglich festzuhalten. Die Fotografie ist bereits in einer Zeit meine große Liebe gewesen, in der es keine digitalen Kameras gab, so dass ich sehr viel Zeit in Dunkelkammern verbracht habe (Anmerkung der Redaktion: Aus diesem Umstand ergibt sich auch der Name „Darkling Room“). Ich habe in ihnen viel an gruseligem, schwach ausgeleuchtetem Material entwickelt und denke, diese Erfahrungen begleiten mich bis heute, denn schwach ausgeleuchtete Räume kommen auch in meinen Spielen sehr oft vor.



Zur Fotografie gesellten sich auch grafisches Design und Schriftsatz, also eine Welt, die sich recht weit entfernt vom Prozess einer künstlerischen Produktion befindet. Eine Welt, die sehr technisch, präzise und spezifisch funktioniert. Ich mag einfach diese Stringenz und Ordnung, die grafisches Design voraussetzt und übernehme dementsprechend in der Regel auch die Gestaltung der Verpackung meiner Spiele, die dann von den Publishern übernommen werden und am Ende in den Geschäftsregalen landen.



Als letztes sollte ich erwähnen, dass ich nach wie vor an den Wochenenden als DJ in Clubs Hard Floor und Industrial Techno auflege. Ich bin musikalisch recht vielseitig interessiert und höre mir sehr viel an verschiedenen Sachen an, dabei reicht die Palette von Folk bis Techno. Ich schätze, daran liegt es auch, dass die Soundtracks meiner Spiele recht vielseitig ausfallen. Du wirst in meinen Spielen ebenso alte, verkratzte Grammophonaufnahmen aus dem 19. Jahrhundert hören wie auch experimentelle elektronische Elemente.



A-T: Erzähle uns von deiner Verwandlung vom Adventure-Fan zum Adventure-Entwickler, der sich mittlerweile ein beachtliches Publikum erarbeitet hat.

Jonathan: Tatsächlich bin ich grundsätzlich ein Fan von Computerspielen gewesen, nicht nur von Adventures. Was mich an diesem Genre allerdings wirklich beeindruckt hat, war das Element des „virtuellen Tourismus“. Ich fand die Idee sehr faszinierend, virtuelle Orte zu erschaffen und sie mit Texturen, Sound und einer eigenen Note zu beschichten. Mit der richtigen Mixtur und einem entsprechenden Maß an Vorstellungskraft haben es die damaligen Adventures geschafft, die Spieler aus ihrem Zimmer an exotische Orte wie Ägypten, Yucatan oder die fiktionalen Welten von Myst zu entführen. Das war für mich damals einfach eine großartige Erfahrung. Ich habe mich mit Freunden an verschiedenen Orten getroffen, jedes Mal haben wir den PC mitgeschleppt und bis in die frühen Morgenstunden Myst gespielt und dabei jede Menge Rotweinflaschen geleert. Wir haben diese Spiele als eine Kunstform empfunden, oder eine surreale Art von Film.



Ich wollte schon immer irgendeine Form von interaktivem Film erschaffen und so begann ich, diese Art von Spiel als die beste Möglichkeit zu sehen, mein Ziel in die Tat umzusetzen. Meine ersten praktischen Erfahrungen habe ich dann 1999 mit dem auf realen Fotografien basierendem Spiel The Displacement gesammelt… eine sehr motivierende Erfahrung! Basierend auf meinen Erkenntnissen habe ich begonnen, das Ganze wesentlich ernster zu nehmen und gelernt, mit Computeranimationen neue Umgebungen zu erschaffen. Die Möglichkeit, zu jeder Zeit, an jedem Ort, etwas Derartiges zu schaffen, war ebenso beeindruckend wie beängstigend… wo genau beginnst du nun bei der Entwicklung eines solchen Spiels?



Ich habe erstmal versucht, die Dinge möglichst simpel zu halten und eine mir bereits vertraute Location neu erstellt, so dass ich mich zunächst auf die Details konzentrieren konnte, anstatt mich mit den Tücken des „virtuellen Ingenieurwesens“ herumzuschlagen. Später habe ich dann die Rätsel hinzugefügt und die Story ausgearbeitet, allerdings erst als der Handlungsort des Spiels fertig gewesen ist. Ich glaube, dass das auch der Grund dafür ist, dass der erste Teil von Dark Fall derart nicht-linear ausgefallen ist. Ich habe die Umgebung geschaffen, dann die Story. Ich denke, dass die Dark-Fall-Fans wahrscheinlich sagen würden, dass die Schauplätze der Spiele der interessanteste Aspekt gewesen sind, also macht es sicher Sinn, sich möglichst stark auf die einzelnen Locations zu konzentrieren und zu versuchen, sie so gut hinzubekommen, wie es geht.



A-T: Da du die Arbeit an deinen Spielen zu großen Teilen alleine bewältigst, hast du eine immense Freiheit bei ihrer Schöpfung. Sagen wir mal, ein großer Publisher klopft plötzlich an deine Tür und möchte, dass du für sie ein Spiel auf die Beine stellst und das Entwicklungsteam anführst. Wäre dieses Szenario für dich eine Option oder siehst du es als zu weit von deinem individuellen Ansatz als Entwickler entfernt?

Jonathan: Ich würde es klasse finden, in einem größeren Team zu arbeiten! Meine Spiele brauchen jedes Mal ewig, bis sie fertig sind, da ich so viel alleine mache. Nicht weil ich kreativ isoliert wäre, sondern aus dem Grund, dass ich nicht ganztägig als Entwickler arbeite. Aber mit dem richtigen Team und dem richtigen Projekt wäre es sicher eine großartige Erfahrung. Es ist ja auch so, dass meine Spiele oft für ihre Ecken und Kanten und den fühlbaren Independent-Faktor im Bezug auf die Produktion kritisiert werden, was natürlich unvermeidbar ist, wenn ein Ein-Mann-Team dahintersteht, das auch noch die Produktion selbst finanziert. Aber mit einem kleinen Team von, sagen wir mal, circa sechs Leuten und etwas finanzieller Unterstützung eines Publishers ließe sich sicherlich etwas Großartiges bewerkstelligen.



Ich habe wirklich eine ganze Reihe an Adventures in der Schublade, die immer noch darauf warten, in die Realität umgesetzt zu werden. Auf mehreren Laptops horte ich Dokumente zu diversen Spielen, die Charaktere, Rätsel oder auch Ideen zum Sound umreißen. Gleichzeitig weiß ich aber, dass ich niemals die Zeit haben werde, all diese Spiele jemals zu komplettieren, was natürlich wirklich schade ist. Aber mit einem kleinen Team und einem engagierten Publisher würde sich mein kreativer Output sicherlich stark erhöhen, da ich viel weniger Dinge selbst übernehmen müsste.



Darüber hinaus denke ich, dass es viele gute TV-Serien und kleinere Filmproduktionen gibt, die sich exzellent dafür eignen würden, ein Adventure-Pendant zu erhalten. Nehmen wir mal die britische Dinosaurier-Serie Primeval, die die Grundlage für ein wunderbares Spiel bieten würde. Das Ausgangsszenario der Show ist wirklich simpel: Dinosaurier erobern unsere heutige Welt durch Zeitportale und ein Team muss sie mit Hilfe von diversen Gerätschaften aufspüren und gewaltfrei in ihre Zeit zurücksenden. Klar, Turok wird nicht dabei rauskommen, aber für ein sehr gutes Adventure ist das Potenzial absolut vorhanden. Natürlich bräuchte ich für solch ein Projekt, wie angesprochen, ein kleines Team, die finanzielle Unterstützung eines Publishers und die Erlaubnis der Rechteinhaber. Ich sehe mich schon als jemand, der größere Projekte auf die Beine stellen will, so etwas, wie eben beschrieben. Es wäre eine Menge Spaß und eine gute Abwechslung von Geistergeschichten!



A-T: Die deutsche Veröffentlichung von Dark Fall III: Lost Souls steht unmittelbar bevor. Bitte gib unseren Lesern einen Einblick von dem, was sie inhaltlich in Lost Souls erwartet.

Jonathan: Es handelt sich bei Lost Souls um einen psychologischen Thriller mit übernatürlicher Prämisse: An ihrem elften Geburtstag verschwand Amy Haven spurlos. Aber der Polizist, der damals die Ermittlungen leitete, hat nie den Willen verloren, herauszufinden, was damals wirklich mit Amy geschehen ist. Der Spieler wird in die Rolle dieses Inspektors schlüpfen und dabei mit den Geistern der Vergangenheit und seines eigenen Unterbewusstseins konfrontiert.



Lost Souls spielt in einer Welt, die sehr stark an der unsrigen orientiert ist, anders als es in vielen anderen populären Adventures der Fall ist. Nachdem ich The Lost Crown entwickelt habe, das ich ebenfalls in die letztere Kategorie einordnen würde, wollte ich etwas mit einem zeitgenössischeren Ton erschaffen, das im Hier und Jetzt verankert ist. Im Internet habe ich dann viel im Bezug auf urbane Örtlichkeiten recherchiert, die an irgendeinem Zeitpunkt aufgegeben wurden und mittlerweile verlassen sind. Dabei habe ich etliche Fotos gesichtet. Es beinhaltet eine gewisse Faszination, zu sehen, wie Teile der modernen Welt langsam zerbröckeln und den Kampf gegen die Entropie verlieren. Jedenfalls haben diese Bilder meine Fantasie beflügelt und Lost Souls wurde zu einer Geistergeschichte, die in eben einem solchen urbanen Setting spielt, das langsam zerfällt - die Thriller-Komponente ist in Dark Fall III allerdings nicht minder ausgeprägt.



Es ist wohl so, dass ich schon immer einen modernen Thriller schreiben wollte und Lost Souls kommt diesem Ziel bislang am nächsten. Es gibt ebenso Bedrohungen der „realen Welt“, wie auch übernatürliche Gefahren, die auf den Spieler warten, wenn er zur Bahnstation und dem anliegenden Hotel zurückkehrt, um ein fünf Jahre altes Geheimnis zu lösen.



Die Geschichte dreht sich letztlich darum, was passiert, wenn eine städtische Gemeinschaft in der Mitte ihrer Stadt eine alte Ruine stehen hat, die dafür verantwortlich ist, dass viele Leute aus dieser Stadt spurlos verschwunden sind und nie wieder auftauchten. An solchen Orten existiert eine Form von Dunkelheit, die sich versteckt, wartet und alles um sie herum beobachtet. In Person des Inspektors wird der Spieler sich seinen Weg durch die Wälder schlagen, um am Ort des Zerfalls seine Suche zu starten. Und der einzige Weg, um die Herausforderungen zu meistern, die sich ihm in den Weg stellen und diesen Ort lebendig verlassen zu können, ist der, mit den Toten zu kommunizieren… zu verstehen, warum sie in der Zwischenwelt gefangen sind… ihnen dabei zu helfen, die „andere Seite“ erreichen zu können.

Screenshot aus Dark Fall III

A-T: Inwiefern wirkt sich die in einem Dark-Fall-Titel erstmals verwendete Engine auf das Gameplay aus, gerade im Vergleich zu den Vorgängern?

Jonathan: Wie auch schon in The Lost Crown, kommt in Lost Souls die wirklich wunderbare Wintermute Engine zum Einsatz. Natürlich war es wichtig, die Technik an ein Spiel anzupassen, das die Erforschung der Spielwelt in 360-Grad-Drehungen erlaubt. Mir war es wichtig, das Slideshow-Gefühl aus den Vorgängern am Leben zu halten, trotzdem aber mehr an Bewegungsmöglichkeiten und visuellen Effekten einzubauen. Das geht nur mit der Verwendung von 3D, also habe ich einiges geändert und bin sehr begeistert vom Endresultat. Es gibt wesentlich mehr Leben und Bewegung in Dark Fall III; Die Kondensation aus dem Mund des Spielers ist zu sehen, Objekte bewegen sich von selbst, Glühbirnen flackern und zu Füßen des Spielers breitet sich Nebel aus. Diese Dinge machen das Gesamterlebnis realistischer und deutlich spannender.

A-T: Wo wir gerade beim Gameplay sind: Was für Aufgaben und Rätsel erwarten den Spieler und wie linear, oder eben auch nicht, ist Dark Fall III?

Jonathan: Die Rätsel sind eine Mixtur aus Aufgaben und Logikrätseln in der „realen Welt“ und surrealen Rätseln und Elementen. Ich denke, es ist eine gute Mischung. Einige der Rätsel sind ziemlich geradlinig und traditionell, während andere ebenso bizarr wie albtraumhaft sind. Außerdem sind einige Rätsel enthalten, deren Lösungen bei verschiedenen Spieldurchläufen abweichen, was die Wiederspielbarkeit erhöht und zu viele Hilfestellungen durch Komplettlösungen mindern soll. Ich denke, dass keines der Rätsel zu schwierig ausgefallen ist, da entweder alle benötigten Hinweise am jeweiligen Schauplatz zu finden sind oder der Spieler explizit erfährt, an welchen Orten er nach Anhaltspunkten suchen soll. Pixelhunting spielt in diesem Spiel übrigens nur sehr selten eine Rolle. Davon abgesehen gibt es zwei verschiedene Enden, die der Spieler erreichen kann. Diese beruhen auf einer wichtigen Entscheidung, die es zu treffen gilt… und letztlich ist es euer eigener „moralischer Kompass“ und eure eigenen Ansichten im Bezug auf Geister, Erlösung und die Seele, die diese Entscheidung fällen werden!



Bei Lost Souls handelt es sich eher um eine treibende Erfahrung, als ein komplett nicht-lineares Erlebnis. Ursprünglich habe ich es geliebt, dem Spieler komplette Freiheit und viele Entscheidungen in die Hand zu drücken, aber mir ist klar geworden, dass viele neuere und jüngere Adventurespieler von diesen Elementen schnell verwirrt werden und sich fragen, was sie eigentlich als nächstes tun müssen. Das führt letztlich zu Langeweile und das Spiel verstaubt im Regal.



Screenshot aus Dark Fall III

Dementsprechend ist es so, dass sich der Spieler, auch wenn es in Dark Fall III große Areale zu erforschen gibt, nicht verloren fühlen dürfte, wie es öfter in älteren Adventures der Fall gewesen ist. Ich bin der Meinung, dass ein Thriller, besonders ein zeitgemäßer, mit einem guten Gefühl für das Timing ständig vorangetrieben werden sollte. Also wird es auch viele Hinweise im Verlauf des ganzen Spiels zu finden geben, die von mysteriösen Figuren wie etwa dem Charakter „Echo“ stammen werden. Er bzw. sie ist auf deiner Seite, zumindest gehst du davon aus, und wird dich durch die Story führen, bis es zu der eben angesprochenen furchterregenden Entscheidung kommt.

A-T: In Lost Souls wird der Spieler Bekanntschaft mit einer Reihe von unangenehmen Kreaturen schließen. Bitte verschaff uns eine Idee davon, auf was für Wesen sich die Spieler gefasst machen können.

Jonathan: Diese „Kreaturen“ haben eine symbolische Bedeutung und repräsentieren in der Geschichte verschiedene Stimmungen, Seelenzustände und Bedrohungen innerhalb der „wirklichen Welt“. Als Beispiel: Eines der ersten Wesen, auf das man treffen wird, ist der „Life Leech“. Diese widerlichen Geschöpfe kann man sich optisch wie einen Fleischwurm oder abgestorbene menschliche Organe vorstellen. Keine Frage, es ist wirklich nicht schön, sie sich anzusehen und sie werden bei einigen Spielern starkes Unbehagen auslösen, man sollte aber nicht vergessen, dass sie als Symbolträger für etwas stehen und zerstört werden müssen, um in Erfahrung zu bringen, was hinter dem Vorhang geschieht.



Die Life Leeches lassen sich an Orten finden, an denen menschliche Qual existiert und Seelen im Fegefeuer vor sich hinvegetieren. Diese Wesen überleben durch den Konsum von negativen Gefühlen und Energie, die von gepeinigten Geistern freigesetzt wird. Die Life Leeches sind Parasiten. Wo solch eine Kreatur zu finden ist, lässt sich also auch eine gefangene Seele finden, wodurch die Life Leeches dich geradewegs zu denen führen, die deine Hilfe benötigen.

A-T: Die Stichwörter Atmosphäre und Psychologie sind zentrale Elemente in deinen Spielen. Wie würdest du die Art beschreiben, auf die Lost Souls versucht, den Spielern unter die Haut zu kriechen?

Jonathan: Wunderbare Frage! Ich denke, dass meine Spiele wesentlich mehr mit psychologischen Werkzeugen arbeiten, denn mit gewalttätigen Elementen und auch Lost Souls macht da keine Ausnahme. Es gibt schon Brutalität an der ein oder anderen Stelle, aber zum Großteil laufen viele der bedrohlichen Elemente über die suggestive Schiene. Die Spieler werden sich also selbst ein Urteil darüber bilden müssen, ob die Welt, die sie erleben, wirklich so schlecht ist, wie sie sie vielleicht wahrnehmen und interpretieren.



Screenshot aus Dark Fall III

Das Hotel von Dowerton mag damals in den 40er-Jahren geschlossen worden sein, aber es hat sich nie wirklich leer angefühlt. An diesem Ort beschleicht einen das Gefühl, verfolgt und beobachtet zu werden und die Geräusche im Hotel sorgen für den Eindruck, dass dieser Ort im nächsten Moment wieder zum Leben erwacht. Und genau das wird auch tatsächlich an einigen Schlüsselpunkten im Spiel geschehen. In diesen Momenten wird sich das verrottete, verfallene Hotel in das zurückverwandeln, was es einst in all seiner Pracht gewesen ist und man wird ein gutes Gefühl dafür erlangen, was für ein komplett anderer Ort das Hotel in seiner Blütezeit gewesen ist. Diese Rückblenden wird der Spieler übrigens durch die Augen der Gäste betrachten, die vor langer Zeit dort abgestiegen sind und ich kann versprechen, dass es eine ziemlich surreale Erfahrung für die Spieler sein wird, unsere Zeit zurückzulassen und diesen Ort so zu sehen, wie ihn die Geister der Vergangenheit einst gesehen haben.



Ich denke, dass das ein sehr psychologischer Ansatz für ein Spiel ist und hoffe, dass das Ergebnis es schafft, dem Spieler unter die Haut zu kriechen. Tatsächlich haben mir einige Spieler Mails geschickt und davon berichtet, dass Lost Souls begonnen habe, in ihre Träume vorzudringen... dass sie sich in der Vergangenheit gefangen fühlen und darauf warten, dass sie jemand ins Hier und Jetzt zurückholt. Es handelt sich bei Lost Souls also sicherlich um ein ungewöhnliches Adventure, denn während das Genre sonst oft als harmloser Eskapismus oder als Zeitvertreib zwischendrin dient, ist Dark Fall III weder ein Casual Game noch bietet es harmlosen Eskapismus. Es ist ein raues Spiel, das sich in einer Welt abspielt, die von ihrer Vergangenheit heimgesucht wird… eine Welt, in der nichts so ist, wie es scheint.

A-T: Es scheint so, als sei es eines der Hauptanliegen von Dark Fall III, dem Spieler ein permanentes Angstgefühl zu verleihen. Inwiefern tragen die zeitkritischen Elemente des Titels zu diesem Punkt bei und wie genau können wir uns diese vorstellen?

Jonathan: Ja, ich stimme dir zu, dass ein permanentes Angstgefühl vorhanden ist, allerdings bezieht sich das auf die Teile des Spiels, die in der Gegenwart stattfinden. In den Vergangenheitsabschnitten geht es wesentlich friedlicher zu und die Spieler werden sich etwas von den Bedrohungen der Gegenwart erholen können. Viele Leute reden darüber, dass die Zeit früher scheinbar langsamer vorbeigegangen ist und das ist etwas, was ich versucht habe festzuhalten und auch ins Gameplay zu integrieren. Letztlich ist es ein gutes Gefühl, den Gräueln der Gegenwart für eine Weile zu entfliehen, bevor man in den finsteren urbanen Albtraum zurückgerissen wird. In der Gegenwart gibt es in der Tat zeitkritische Elemente, an denen man scheitern kann. Allerdings wird der Spieler dabei nicht sein Leben verlieren, wie es einige Rezensenten fälschlicherweise geschrieben haben. Stattdessen wird man vor der jeweiligen Gefahr fliehen und in weiteren Anläufen versuchen, die Situation zu meistern. Nach meinem Empfinden sorgen diese Situationen für mehr Spannung, als sie in manch anderem Adventure vorhanden ist, denn du kannst es dir hier nicht erlauben, über Stunden an Rätseln herumzuexperimentieren.



Screenshot aus Dark Fall III

Davon abgesehen gibt es zwei verschiedene Schwierigkeitsgrade, so dass sich niemand wegen diesen zeitkritischen Einlagen Gedanken machen muss. Der leichte Schwierigkeitsgrad stellt dem Spieler ein immenses Maß an zusätzlicher Zeit zur Verfügung. Wer hingegen Action-Sequenzen gewohnt ist, wird mit dem härteren Schwierigkeitsgrad das höchste Maß an Befriedigung und Spannung erlangen.

A-T: Eine lange Zeit ist vergangen, seit du den ersten Teil von Dark Fall entwickelt hast. Nun kehrst du nach all den Jahren zum Setting des Erstlings, The Journal, zurück. Wie kam es zu dem Entschluss, noch einmal nach Dowerton zurückzukehren, nachdem du im zweiten Teil, Lights Out, ein anderes Setting verwendet hast? Und inwieweit ist dies für dich eine sehr persönliche Rückkehr gewesen, wenn man bedenkt, dass sich im Laufe der Jahre wahrscheinlich nicht nur Dowerton verändert hat, sondern wohl auch der Mensch hinter dem Spiel nicht mehr exakt derjenige ist, der damals Dark Fall: The Journal in Angriff genommen hat.

Jonathan: Bei Lost Souls handelt es sich wie erwähnt um eine sehr düstere Mischung aus Thriller und Geistergeschichte, die in einem urbanen Setting angesiedelt ist. Örtlichkeiten, die in der Vergangenheit aufgegeben wurden und nun verfallen, passen einfach hervorragend zu dieser Art von Geschichte. Besonders da sie eine sehr melancholische Atmosphäre verströmen, die dazu führt, dass man damit beginnt, sich gewisse Fragen zu stellen: Wie viele Menschen mögen im Lauf der Zeit wohl gekommen und gegangen sein? Was für Geschichten mögen wohl für immer ein Geheimnis bleiben? Und natürlich… was mag es wohl in Wirklichkeit mit einem Ort auf sich haben, an dem es vermeintlich spukt? Existieren Geister? Oder kann es sein, dass solche Orte die Erinnerungen derer beherbergen, die früher dort gelebt haben und nun schon seit langer Zeit nicht mehr hier sind? Was ist, wenn solch ein Ort eines Tages in sich zusammenfällt oder durch neue Gebäude ersetzt wird? Wird er dann auch weiterhin von Geistern heimgesucht?



Bekanntlich ist es ja so, dass traditionelle Geistergeschichten gerne auf klassische Locations wie etwa Schlösser zurückgreifen, um eine gruselige Geschichte zu erzählen. Das hängt mit der Interpretation zusammen, dass solche spezielle Orte automatisch auch die beeindruckendste Form von Geistern beherbergen müssen, woran ich nie geglaubt habe, weswegen ich damals einen anderen Weg gehen wollte, als ich im Jahr 2000 damit begonnen habe, mich mit Dark Fall auseinanderzusetzen. Hotels und Zugstationen wurden bereits vereinzelt in übernatürlichen Filmen oder Büchern verwendet, zum Beispiel in The Shining oder Room 13 von M.R. James, und ich wollte in eine ähnliche Kerbe schlagen, dem Ganzen allerdings einen wesentlich urbaneren Anstrich verleihen.



Screenshot aus Dark Fall III

Vor einem Jahrhundert ist Dowerton noch eine einfache, ländliche Marktstadt samt einer kleinen Zugstation und einem Hotel für Durchreisende gewesen, die sowohl von Einheimischen als auch Besuchern geliebt wurde. Im Laufe der Jahre wurde Dowerton dann mehr und mehr von den anliegenden Gemeinden und der Modernität verschlungen und der Ort verlor seine ursprüngliche Identität. Falls sich das etwas negativ anhört… es ist so, dass ich es wirklich sehr faszinierend finde, verlassene und verfallene Plätze dieser Art zu erforschen und an Orten nach Geistern zu suchen, die nicht Teil der „klassischen“ Geistertouren sind.



Ich bin mir bewusst, wie sich die ländliche Gegend um mich herum in den letzten beiden Jahrzehnten geändert hat, aber ich will kein zu harsches Urteil fällen. Es gibt sicherlich viele Vorteile an der modernen Art des Lebens und dennoch wird es mich und viele Spieler nicht davon abhalten, nostalgische Gefühle für eine Vergangenheit zu empfinden, die in der Form gar nicht existiert haben muss. Im Vereinigten Königreich sieht es so aus, dass wenige behaupten würden, die Welt wäre heute ein besserer Ort als vor zwanzig Jahren und genau dieses Statement greift Lost Souls auf. Ich schätze mal, dass ich heute ein deutlich härterer und zynischerer Schreiber bin, als ich es damals war und ganz ehrlich… im Nachhinein betrachtet würde ich auf einige der letzten Jahre gerne verzichten.