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Interviews

Leon Willett
Gesprächspartner: Luc 'LGH' Gilbertz
Sprache:
Vom: 20.07.2006

Über

Leon Willett hat den orchestralen Soundtrack zu Dreamfall komponiert und arbeitet zur Zeit an einem Dreamfall-Medley für das Eröffnungskonzert zur Games Convention. Infos zu seiner Arbeit gibt es auf leonwillett.com, den Dreamfall-Soundtrack gibt es unter anderem im iTunes Music Store.



Adventure-Treff: "Hallo, könntest du dich bitte kurz selbst vorstellen? Was hattest du bisher für Projekte und woran arbeitest du gerade?"

Leon Willett: "Mein Name ist Leon Willett. Ich wurde in Edinburgh in Schottland geboren und lebe jetzt in Barcelona, Spanien. Ich bin hierher gezogen, nachdem ich Musik-Komposition an der Salford University studiert habe. Ich habe an einigen kleinen Indy-Projekten gearbeitet, bevor ich letztes Jahr mit Funcom zusammengekommen bin, um an Dreamfall zu arbeiten. Jetzt arbeite ich an einem noch nicht angekündigten und sehr spannenden Projekt, von dem ich euch leider noch nichts verraten darf, und an meiner Musik für Lost Eden, der jüngsten Episode der preisgekrönten Reihe Anarchy Online."

A-T: "Wie wurdest du zum professionellen Komponisten?"

L.W.: "Na ja, meine erste Projekte waren sehr kleine Sachen, die aus der Barcelona Film school hervorgegangen sind. Obwohl sie ordentliche Budgets und gute Produktionswerkte hatten, ist aus diesen Projekten nichts geworden. Außerdem habe ich eine Zeit lang als Kopist gearbeitet. Erst als ich angefangen habe, für Funcom zu arbeiten, konnte ich mich zu 100% dem Komponieren widmen."

A-T: "Hast du musikalische Idole, sowohl allgemeine als auch welche Für Spielemusik?"

L.W.: "Ja, ich habe eine ganze Menge! Bei Konzertmusik wären Debussy, Stravinsky und Bartok meine drei klaren Favoriten. In der Filmmusik ist John Williams ein großes Vorbild, und auch von Jerry Goldsmith und James Newton Howard habe ich immer viel gehalten. Bei Spielen habe ich großen Respekt vor Jeremy Soule, Bill Brown und natürlich Nobuo Uematsu."

A-T: "Wenn du Musik komponierst, benutzt du dazu nur Bleistift und Papier, das Piano oder machst du das am Computer?"

L.W.: "Ich komponiere immer auf Papier. Früher hatte ich die Gewohnheit eine vollständige orchestrale Partition auszuschreiben, aber aus Zeitmangel verwende ich inzwischen sehr detaillierte, aus 12 Notenreihen bestehende Kurz-Partitionen. Diese enthalten im Wesentlichen alle Informationen, die man auch in einer ausgeschriebenen Version vorfinden würde, aber in einer abgekürzten Form. Da steht dann zum Beispiel in einer Zeile 2ob+2bn(8vb), was bedeutet, das zwei Oboen von zwei Fagotten begleitet werden, die eine Oktave tiefer spielen."

A-T: "Wie hast du es geschafft, die Stimmung in Dreamfall so gut einzufangen? Hast du viel von dem Spiel gesehen, bevor du die Musik geschrieben hast, oder musstest du dich auf Beschreibungen und Konzeptzeichnungen verlassen?"

L.W.: "Ich hatte in der Tat eine Version des Spiels, mit der ich arbeiten konnte. Die wurde immer aktualisiert, wenn neue Teile von Dreamfall fertig geworden sind. So konnte ich die Szenen spielen, die Musik benötigten - das war perfekt! Ich hatte auch eine Kopie des Scripts, eine Menge Konzeptzeichnungen und natürlich direkte Anweisungen. Die kamen hauptsächlich von Morten Sorlie, dem Audio Director, aber auch von Simon Pool und Ragnar Tornquist, die das Spiel geschrieben haben."

A-T: "Wie viel Einfluss hatte die Musik von The Longest Journey auf deinen Soundtrack?"

L.W.: "Meine Musik für Dreamfall hat eine neue Richtung eingeschlagen, passend zu der neuen Art der Produktion und dem hybriden Gameplay. Der intime Eklektizismus, der so gut im ersten Spiel funktioniert hat, wäre inmitten einer kompromisslosen Fantasy-Welt, die mit einem städtischen Thriller gemixt ist, eher unpassend gewesen. Meiner Meinung nach erforderte die gewaltige Größe des Plots und der Bilder eine hollywoodesquere Herangehensweise."Der Dreamfall-Soundtrack

A-T: "Wie viele Anweisungen hast du von Ragnar Tornquist für deine Arbeit bekommen? Hat er nur die grundsätzliche Stimmung einer Szene beschrieben oder hatte er auch konkrete Ideen bezüglich des musikalischen Stils?"

L.W.: "Ich hatte sehr detaillierte Lagebesprechungen mit Ragnar und Morten zu Beginn des Projektes, in denen wir jeden Teil des Spiels von Anfang bis Ende durchgesprochen haben. Als die Arbeit dann begonnen hat, habe ich Anweisungen von Ragnar, Morten und Simon bekommen, je nach dem, wer gerade an welcher Szene gearbeitet hat. Als die Musik dann eingebaut war, habe ich Rückmeldung von Ragnar bekommen, der mir gesagt hat, wie sie funktioniert hat und ob Änderungen nötig sind. Ragnar hat manchmal bestimmte Stile nachgefragt, z.B. wie ethnisch sich die Stadt Sadir anfühlen sollte, und dass die Trainingsszene in Sadir nur mit Perkussionsinstrumenten untermalt sein sollte. In anderen Situationen hatte er keine speziellen Wünsche, da sollte dann nur diese oder jene Emotion zum Ausdruck gebracht werden."

A-T: "Die Musik in Dreamfall hat eine sehr hohe Tonqualität. Gab es Liveaufnahmen mit echten Instrumenten oder sogar einem ganzen Orchester?"

L.W.: "Wir haben in der Tat überlegt, ein Liveorchester zu verwenden, konnten es dann am Ende aber doch nicht tun. Meine langen Stücke wurden mit einer Sammlung an kommerziellen und hochmodernen Samples simuliert. Jetzt sind wir alle erfreut, dass ich gebeten wurde, ein Dreamfall-Medley zusammenzustellen, das vor der Games Convention im August vom Prague FILMharmonic Orchestra unter der Leitung von Andy Brick gespielt wird. Ich hoffe, dass ich in Zukunft mit Liveorchestern arbeiten kann, denn ehrlich gesagt sind selbst die besten Samples kein Vergleich zu Aufnahmen mit echten Instrumenten!"

A-T: "Hast du auch die Musik für die Stücke mit Gesang komponiert, z.B. das in den Credits?"

L.W.: "Von denen habe ich nur eines geschrieben: das in der Krankenhaus-Szene, wo Zoë im Koma liegt. Ingvild Hasund hat das Stück vom Ende komponiert, andere Lieder hat der norwegische Künstler Magnet beigesteuert."

A-T: "Hast du das fertige Spiel auch mal gespielt? Falls ja, wie war es, seine eigene Arbeit in der Welt von Stark und Arcadia zu hören?"

L.W.: "Ich habe das Spiel in der Tat durchgespielt und ich bin sehr froh über das Ergebnis! Ich denke, das gesamte Team kann sehr stolz darauf sein, an einem Titel mit großartiger Story, Bildern und Sound gearbeitet zu haben. Es passiert nicht oft, dass ein Spiel veröffentlicht wird, das so signifikant zu einem Genre beiträgt."

A-T: "Was kannst du uns darüber erzählen, wie man ein Stück aus einem Spiel zu einer Version für ein ganzes Orchester umschreibt?"

L.W.: "Daran arbeite ich gerade! Es wird toll sein, es dann in Leipzig zu hören."

A-T: "Irgendwelche lustigen Insiderstorys?"

L.W.: "Ich habe Morten einmal in einer sehr ernsten E-Mail geschrieben, dass ich einen besonderen B-Teil zum Kian-Thema geschrieben hätte, das ein wenig experimentell wäre, und ich gerne seine Meinung dazu hören würde. Als er sich hingesetzt hat, um meine Kreation zu hören, wurde er an der Stelle, an der eigentlich die Variante des Kian-Themas auftauchen sollte, von einem Disco-Remix von ABBAs Gimme a Man After Midnight begrüßt. Es war dieselbe Tonart und dasselbe Tempo und behutsam in die Mitte reingemischt. Seltsamerweise bin ich für diese Übermittlung nie bezahlt worden..."

A-T: "Vielen Dank für das Interview und für die fantastische Atmosphäre, die du in Dreamfall erzeugt hast!"

L.W.: "Vielen Dank für die Fragen. Es freut mich, dass dir die Musik gefallen hat."