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Interviews

Benoît Sokal und Frederic Pons
Gesprächspartner: Jan 'DasJan' Schneider
Sprache:
Vom: 21.05.2002

Über

Benoît Sokal ist 1954 geboren und ein leidenschaftlicher Comiczeichner. Berühmt wurde er mit seinen Büchern über Inspektor Canardo, der Ente im Humphrey Bogart Trenchcoat, die in Deutschland im Carlsson Verlag erschienen sind. 1999 entwickelte er aus seinem Comic ""Weiße Vögel sterben leise"" das PC-Spiel Amerzone, dass mit schöner Grafik und fesselnder Atmosphäre Sokals Stil auf ein neues Medium übertrug.

Zu seinem neuen PC-Spiel Syberia standen uns Benoît Sokal und Frederic Pons, der internationale Produktmanager für Syberia, Rede und Antwort.



Adventure-Treff: Fred, erzähl uns bitte zuerst etwas über dich und deine Rolle in der Entwicklung von Syberia.

Frederic Pons: Ich bin der internationale Produktmanager von Syberia. Ich kümmere mich um alle Marketing-Tätigkeiten, die mit diesem Titel zu tun haben.

A-T: Mr. Sokal, wie haben Sie als Comicbuch-Autor den PC als Medium dazu entdeckt, Ihre Geschichten zu erzählen?

Benoît Sokal: Die Verbindung zwischen mir und Microïds entstand durch die Arbeit an Amerzone, das vor zwei Jahren für PC und Playstation erschienen ist. Ursprünglich hat die Zusammenarbeit zufällig angefangen. Casterman (Buch- und Comic-Verlag) wollte eine Multimediaproduktion aus meinen ""Amerzone""-Comics entwickeln. Casterman hat dann Microïds als technischen Partner gefunden und Amerzone wurde ein großer Erfolg, besonders in Frankreich, Italien und Kanada.

A-T: Mr. Sokal, wie stark haben Sie sich mit Microïds ausgetauscht? Haben Sie ihnen nur Ihre Skizzen und Ideen geschickt, oder konnten Sie sich aktiv in den Entwicklungsprozess einbringen?

B.S.: Nach der Veröffentlichung von Amerzone haben wir die Arbeiten an Syberia begonnen. Seitdem bin ich bin der künstlerische Leiter und der Autor des Spiels, sodass ich vollständig in die Entwicklung des Spiels eingebunden war. Ich war jeden Monat für eine Woche in Montreal (das Spiel wurde von Microïds in Kanada entwickelt) und zudem stand ich mit dem Entwicklungsteam (+/- 30 Personen) ständig über E-Mail, Telefon und FTP in Kontakt. Am Anfang habe ich alleine die Geschichte geschrieben und viele Zeichnungen angefertigt, sodas das Team ein Gefühl davon bekam, was ich ausdrücken wollte (ihr könnt auf der www.syberia.info Homepage einige von ihnen kontaktieren). Am Anfang des Projektes war es war eine echte Herausforderung, da die nordamerikanische Kultur sich sehr stark von der europäischen unterscheidet.

A-T: Wie viel war während der Entwicklung von Syberia die Erfahrung wert, die Sie mit Amerzone gemacht haben?

Fred: Die Erfahrung mit Amerzone war natürlich sehr hilfreich. Doch die Technologie ist stark verbessert worden und man muss ständig dazulernen. Außerdem erzählt Syberia im Gegensatz zu Amerzone eine neue, für das Spiel entwickelte Geschichte, weswegen ich hoffe, dass die Spieler stark mit ihr mitfühlen werden...

A-T: Gibt es einen speziellen Zeitrahmen, in dem die Geschichte spielt? Auf den Screenshots habe ich Aspekte aus ganz unterschiedlichen historischen Epochen bemerkt, eingeschlossen einige Sci-Fi Elemente.

Fred: Die Story ist zeitgenössisch. Aber Syberia ist die Geschichte einer Frau, die einen seit 50 Jahren verschollenen Erben irgendwo zwischen den Alpen und Siberien zu finden versucht. Deshalb wird die Heldin, Kate, seinen Spuren folgen und entdecken, was ihm während des letzten Jahrhunderts zugestoßen ist. Tatsächlich gibt es viele Verweise auf die wichtigsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts (Zweiter Weltkrieg, Kalter Krieg, Kommunismus, etc.).

A-T: Versuche, Kate Walker zu charakterisieren. Was für eine Frau ist sie?

Fred: Kate Walker ist eine junge, amerikanische Anwältin aus New York. Ihre Schicksal scheint besiegelt: Ein guter Job, ein Freund, eine Mietwohnung... Eine gute Mischung. Sie genießt außerdem ihren American way of life. Doch die Persönlichkeit Kates verändert sich während des Adventures. Die Dialoge (mit Charakteren und ihrem Handy) helfen uns zu verstehen, wie. Am Anfang ist sie sehr stolz. Doch nach und nach wird sie die Gründe für ihre Reise nach Europa relativieren und bald wird sie an ihrem Leben und ihren Zielen zu zweifeln beginnen...

A-T: Gibt es Humor in dem Spiel oder ist Syberia ein völlig ernstes Adventure?

Fred: Ja, dank Oscar, einer ganz besonderen Maschine, gibt es Humor. Er ist fast menschlich, doch sein Verhalten ist sehr starr. Er ist der Zugführer und Züge sind immer pünktlich... Er ist wie ein englischer, aristokratischer Butler. Oscar bringt viel Spaß in das Spiel, da er so steif ist, dass er Kate schnell auf die Nerven geht.

A-T: Hans Voralberg wird als mechanisches Genie beschrieben. Hat er einige faszinierende mechanische Rätsel im Myst-Stil für uns vorbereitet?

B.S.: Hans ist tatsächlich ein Genie, wenn es darum geht, Automaten und Maschinen herzustellen. Und der Spieler wird Kate dabei helfen müssen, kaputte Mechanismen zu reparieren. Ich wollte, dass jedes Rätsel im Spiel voll in die Story integriert ist. Keine künstliche Schwierigkeit!

A-T: Eines der originellsten Spielfeatures ist das Handy. Wie funktioniert es und was ist die Idee dahinter? Gibt es mehr einmalige Features in Syberia?

Fred: Das Handy hilft uns zu verstehen, wie sich Kates Persönlichkeit verändert. Wir lernen außerdem viele Dinge vom Hintergrund des Spiels. Kate kann 10 Charaktere (Mutter, Freund, Boss...) zu jedem Zeitpunkt des Spiels anrufen. Manchmal wird sie einen Anrufbeantworter erreichen...

A-T: Wird es Actionsequenzen im Spiel geben? Kann man sterben?

Fred: Es wird ein wenig Action im Spiel geben. Kate wird nicht sterben können, weil ich will, dass die Spieler das Spiel beenden können. Wie frustrierend war es, Riven nicht zu Ende spielen zu können!! Abgesehen davon ist Kate nicht Lara Croft: Sie ist eine glaubhafte Frau ohne Waffe. Sie benutzt ihr Gehirn, um Probleme zu lösen.

A-T: Die veröffentlichten Trailer zeigen viele Zwischensequenzen, Wie viele wird es im fertigen Spiel ungefähr geben?

Fred: Etwa 20 Minuten. Sie helfen uns, die Hintergründe des Spiels besser zu verstehen. Sie sind eine Art Geschenk!

A-T: Wie groß ist das Spiel? Wie viele Stunden wird ein Durchschnittsspieler etwa beschäftigt sein?

Fred: Zwei CDs und 20-25 Stunden für Gelegenheitsspieler.

A-T: Wenn man von den verschiedenen Welten in Syberia liest, beispielsweise dem kommunistischen Komkolzgrad, kann man unter der Fiktion einige Elemente entdecken, die unserer realen Welt sehr nahe kommen. War es beabsichtigt, etwas tiefer gehende Zivilisationskritik mit Syberia zu transportieren oder ist das nur dazu gedacht, um vier möglichst kontrastreiche Spielwelten zu erschaffen.

B.S.: Beides! Ich wollte eine möglichst glaubwürdige Geschichte schreiben. Deshalb kommen die Wurzeln des Spiels aus der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Und es gab viele Fehler in dieser Zeit. Beispielsweise Aralbad, eine Kritik an dem, was die russische Industrie gemacht hat: Umweltverschmutzung mit dramatischen Konsequenzen; der Aralsee ist fast vollständig verschwunden!

Aber Syberia ist kein politisches Spiel. Nur eine persönliche Reflexion dessen, was passiert ist.

A-T: Es gibt einige offensichtliche Ähnlichkeiten zwischen Syberia und ""The Longest Journey"". Sind diese beabsichtigt?

Fred: Technisch gesehen, ja! Das ist alles.

A-T: Der vielleicht offensichtlichste Unterschied zwischen Amerzone und Syberia ist der Perspektivenwechsel. Amerzone war ein Spiel aus der Ich-Perspektive und Syberia hat die klassische Adventure-Sicht. Wieso habt ihr diese Entscheidung getroffen?

Fred: Es ist interessant, die Entwicklung eines Charakters aus der Ich-Perspektive zu verfolgen. In Syberia können die Spieler jedoch Kate (die hübsch anzusehen ist, oder?) auf dem Bildschirm verfolgen und sich ein Bild von ihr machen...

A-T: Der Wechsel der Perspektive hat die Entwicklung einer völlig neuen Engine erfordert. Erzähl uns etwas über ihre Fähigkeiten. Wird sie für zukünftige Spiele verwendet oder an weitere Firmen lizenziert?

Fred: Wir haben mit Virtools zusammengearbeitet. Und wir werden sie für weitere Spiele verwenden.

A-T: Es gab einige Kritikpunkte an Amerzone: Das Spiel war sehr kurz, die Rätsel zu simpel und die Umgebung nicht sehr lebhaft. Habt ihr an diesen Punkten gearbeitet, ohne die fesselnde Atmosphäre zu gefährden?

Fred: Der Großteil dieser Kritik kam von den Spielern. Ich würde gerne das Ziel von Computerspielen erweitern. Es ist eine gute Möglichkeit des künstlerischen Ausdrucks. Die Länge des Spiels ist nicht unbedingt entscheidend. Seht euch Max Payne oder Metal Gear Solid an. Beides kurze Spiele, die aber dennoch zu den besten gehören. Auf jeden Fall ist Syberia ein besserer Kompromiss als Amerzone: Länger und schwieriger. Aber denkt daran, dass es nicht Riven ist, das ich nie zu Ende gespielt habe.

A-T: Kommt das Spiel auf CD oder DVD? Wie viele CDs wird es benötigen? Wenn es CD- und DVD-Versionen geben wird, wird die DVD-Version Bonusmaterial haben?

Fred: Zwei CDs zuerst, und dann eine DVD-Version, die vielleicht das Making of enthalten wird, das ab dem 21. Mai auf www.syberia.info zu sehen sein wird, bessere Videos, einen 30-minütigen Film… Wir haben uns noch nicht entschieden. Es wird außerdem eine Version für die Playstation 2 am Ende des Jahres erscheinen.

A-T: ""Das Adventure-Genre ist tot."" Dein Kommentar?

Fred: Keinesfalls!!! Vielleicht gab es zu viele schlechte Adventures und die Spieler sind zu einem anderen Genre gewechselt.

A-T: Viele Spiele-Entwickler denken, nur 3D-Adventures können erfolgreich sein (z.B. Baphomets Fluch). Warum habt ihr trotzdem ein 2D-Spiel gemacht?

Fred: Wen interessiert's außer der Fachpresse? Mal ehrlich, selbst wenn das 3D großartig ist, wo sind die Vorteile? Es ist wie die Wahl der Perspektive zwischen erster und dritter Person. Ich habe mich für die dritte Person entschieden, weil es in Bezug auf die Story und deren Emotionen einen Sinn macht. Nicht weil es gerade modern ist. Das selbe gilt für die Grafik.

A-T: Wenn du das fertige Spiel siehst, worauf bist du am meisten stolz?

Fred: Die Tatsache, dass alles so gut zusammen passt: Grafik, Szenario, Sound, Musik...

A-T: Wird es mehr Benoît Sokal/Microïds-Kooperationen geben? Gibt es Pläne für ein neues Adventure?

Fred: Vielleicht...

A-T: Welche PC-Spiele (nicht von Microïds) hast du zur Zeit auf deiner privaten Festplatte? Spielst du in deiner Freizeit überhaupt Spiele?

Fred: Im Moment habe ich dafür nicht viel Zeit. Aber meine Söhne! Es ist interessant, ihnen zuzusehen. Das letzte Spiel, das ich gespielt habe, war Max Payne.

A-T: Vielen Dank, dass ihr euch Zeit für unsere Fragen genommen habt. Wir sind wirklich gespannt auf das Spiel und wünschen euch all den Erfolg damit, den ihr verdient habt.