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Features

Über den Tellerrand: Pineview Drive
Vom: 22.10.2014

Entwickler: VIS

 

Tag 1

"Aaaahja". Das ist das Erste, was mir nach dem eigentlichen Spielstart von Pineview Drive durch den Kopf geht, nachdem ich die langen und nicht überspringbaren Entwickler- und Publisher-Logos und eine (ernstgemeinte?) Warnung vor dem Gruselfaktor über mich habe ergehen lassen. Ich habe ein verwackeltes Introvideo gesehen, in dem ein weiß gekleidetes Mädchen durch den Wald rennt. "Willkommen im Spiel Pineview Drive" erscheint dann auf dem Bildschirm und schon ist die Spieltiefe flöten gegangen. Nun wird eingeblendet, wie ich mich bewegen kann. WASD, sollte ich hinkriegen. Ego-Perspektive, 3D-Umgebung, alles klar. Ein zweiter Anlauf: Ich will wieder ins Spiel eintauchen und mich nicht mit der Steuerung aufhalten.

Ich stehe vor einem großen Anwesen. Dass es gefühlt unendlich groß ist, werde ich erst einige Zeit später feststellen. Ich suche kurz nach einem Schlüssel für das schmiedeeiserne Tor vor der Villa, finde ihn und gelange auf das große Grundstück des Anwesens. Die Stimme meines Spielcharakters erklingt. Die geht gerade so in Ordnung, aber gut besetzt ist sie leider nicht. In drei Sätzen erfahre ich, dass ich wissen will, was "damals mit Linda passiert ist". Das ist dann wohl die Hintergrundgeschichte. Ich sehe mich ein wenig im Garten um, bevor ich zur Haustür gehe. Dort muss ich erneut einen Schlüssel suchen, finde auch den (einbruchssicher ist das Haus schon mal nicht, jeder Vollpfosten würde die Schlüssel finden) und bin im Haus. Dort nehme ich mir kurz Zeit, um die Grafik näher zu betrachten. Passabel, aber etwas angestaubt und grobschlächtig wirkt sie. Passt zum Inneren des Hauses. Nur bei Spiegelungen setzt das Spiel komplett aus. Unförmige Klötze bewegen sich in Einzelbildern durch spiegelnde Flächen. Doch über all das lässt sich ja wunderbar hinwegsehen, wenn das Spielerlebnis die schwachen Punkte wieder herausholt.

Ein wenig planlos erkunde ich das Untergeschoss des Hauses. Drei Mal rüttle ich an Türklinken, drei Mal lese ich "Die Tür ist verschlossen. Finde den passenden Schlüssel". Die vierte geht auf. In einem Regal liegt... ein Schlüssel. Schön. Und wo passt der jetzt? Hier? Nein. Hier? Nein. Hier? Ah, ohnehin offen. Ein Wohnzimmer. Streichhölzer. Noch ein Schlüssel. Na dann. Ich schließe ein paar Türen auf, die mir beim Öffnen jedes Mal ins Gesicht schlagen. Dann finde ich Batterien. "Du brauchst erst eine Taschenlampe".

Langsam wird es dunkel draußen. Ein Blick auf eine Uhr an der Wand zeigt: Die Minuten vergehen im Sekundentakt. Bis es Nacht wird, dann läuft die Uhr sehr langsam. Ich mache Licht an. Wer auch immer diese Villa verkabelt hat, er war sein Geld nicht wirklich wert. Die Lampen erhellen stets nur einen kleineren Teil der Gänge und Räume. Aber das gehört ja zur Gruselatmosphäre.

Mit der Zeit stelle ich fest: Der Horror bei Pineview Drive ist plakativ und besteht ausschließlich aus Scare-Jumps. BAM! Vogel gegen das Fenster. SWUSCHBAM! Eine Gipsbüste schaut einen plötzlich an. Dazu ein stetiger, grummelnder "Uuuuuuuhhhhhh"-Soundtrack im Hintergrund. Und das Rütteln an Klinken von Türen, deren Schlüssel ich noch finden muss. Aufregend.

Irgendwann habe ich es geschafft: Ich bin im Besitz einer Taschenlampe und finde einen Zettel. Der soll die "Geschichte" vorantreiben. Es hätte aber auch eine Einkaufsliste sein können, so banal liest er sich. Und so banal trägt ihn auch der Sprecher vor. Dann ein Ladebildschirm, BUMMMM! Tag 2. Die erste Hürde ist geschafft.


Dieser Satz wäre ein äußerst passender
Untertitel für das Spiel

Tag 5

So langsam geht mir das Spiel gehörig auf die Nerven. Jeder "Tag" besteht alleine daraus, durch das Haus zu irren, bis es dunkel ist und dann mehr oder weniger per Zufall mitzukriegen, wo diesmal etwas los ist. Dann erhalte ich einen Schlüssel. Natürlich habe ich keine Ahnung wo er passt, also wieder alle Türen abrennen. Ich kann den Satz "Die Tür ist verschlossen. Finde den passenden Schlüssel" nicht mehr sehen! Und fast jede Tür, die ich aufmache, hat wieder neue Türen parat. Wie groß ist dieses blöde Haus eigentlich? Gewürzt wird das Ganze mit plötzlichen Geistererscheinungen und Lichtblitzen plus BUMM!-Sounds. Natürlich ist das effektiv. Natürlich zucke ich zusammen. Aber echter Horror ist das nicht. Da könnte genauso gut ein Kollege vom Treff hinter mir stehen, mich ab und zu an der Schulter packen und "Buh!" oder "WAAAH" rufen. Am Ende jedes Tages, beziehungsweise jeder Nacht findet man irgendwann einen Zettel, auf dem wieder ein mehr oder weniger sinnvoller Satz steht. Dann ein Ladebildschirm und Zack, steht man wieder im Zimmer. Abends. Ich lasse mir das kurz durch den Kopf gehen: Da ist also dieser Typ. Der durchsucht ein Haus, in dem es spukt. Er will wissen, was mit Wiehießsienochgleich passiert ist. Dann erschrickt er sich Nacht für Nacht. Und wenn er einen Zettel gefunden hat, sprintet er ins Bett und schläft bis zum Abend.


...und viel Sinn für Humor!

Tag 7

Mir ist zum ersten Mal aufgefallen, dass es links oben am Bildschirm einen Balken gibt. Den habe ich bislang irgendwie ignoriert. Er zeigt meine geistige Gesundheit an, wie ich später erfahre. Wenn ich mich erschrecke, geht er nach unten. Woher weiß das Spiel, ob ich mich erschrecke? Laut Entwickler wenn ich
a) die Maus verreiße
b) mein Verhalten stark ändere (Stehenbleiben, plötzlich langsamer gehen, usw.)
Bis jetzt war das Ding immer grün und ich habe mich nicht weiter darum gekümmert. Aber es wird mich noch zur Weißglut treiben. Und das ist eine Leistung, denn die Tür-Schlüssel-Geschichte, die sich jetzt seit Stunden zieht, belegt schon einen Großteil meiner Nerven.


Kleiner Balken, große Wirkung

Tag 8

Ich weiß jetzt, wie ich das Spiel am besten beschreiben kann: Billige Geisterbahn. Licht aus, Dunkel, fahren... Hell! BUH! Aaaaaah!. Dunkel... fahren... Geräusch... BUH! Aaaaah! Klar, funktioniert. Ich erschrecke mich. Am Anfang. Irgendwann kennt man das Ganze aber. Und durch die Schlüsselsucherei kann ich Pineview Drive schon lange nicht mehr ernst nehmen.

Tag 18

Wieviele Tage hat dieses Spiel eigentlich noch? Was? 30? Uff, so ein Test kann echt anstrengend sein. Der Gruselfaktor hat inzwischen theoretisch deutlich angezogen, es passieren viele Dinge im Haus. Zum Beispiel wechselt ein Clown seinen Platz und lacht irre, wenn man ihm begegnet. Katzen schießen aus Türen heraus. Aber die Effekte nutzen sich ab. Meine Spielweise sieht inzwischen so aus: Mit gedrückter Shift-Taste renne ich so lange im Haus im Kreis, bis es einen Hinweis gibt, wo ich hingehen muss. Den gibt es nämlich dankenswerter Weise nach einer Weile vom Hauptcharakter, der witzigerweise ab und zu mehr weiß, als ich. Zum Beispiel, wo undefinierbare Geräusche herkommen. Dann finde ich einen Schlüssel. Jeij! Mit gedrückter Shift-Taste renne ich durch das Haus, hämmere auf die E-Taste, um Türen auszuprobieren und gebe einen Grunzer von mir, wenn mal zufällig wieder ein Schlüssel passt. Irgendwann finde ich einen Zettel und beende dann das Spiel. Wieder ein Tag geschafft. Schluss für heute.

Tag 20

Wenn man nebenbei seine Lieblingsserie guckt, ist das mit dem durch das Haus-laufen-und-Schlüssel-suchen gar nicht so übel.

Tag 21

Mein erster Gameover-Bildschirm. Das Spiel hat mir zu viel von meinem Balken abgezogen. Also den Tag nochmal probieren. Ich achte peinlich genau darauf, nichts am Verhalten zu ändern und halte meine Maus ruhig wie ein Chirurg. Das Problem: Manchmal drehe ich mich in dem Moment um, in dem ein Schockeffekt abgespielt wird. Gibt Abzug. Ist unerfreulich. Noch unerfreulicher ist aber der bescheuerte Clown, auf den ich inzwischen einen echten Hass schiebe. Denn egal wo er auftaucht, ich verliere immer ein gutes Stück Balken. Egal, was ich tue. Selbst wenn ich ohne Sound unbeeindruckt weiter durch den Raum renne: Swusch! Wieder ein Stück Balken weg. Toll. Irgendwann schaffe ich es dann doch, einen weiteren Brief zu finden.

Tag 27

Ich zeige das Spiel einem Freund und erkläre ihm meine Hauptkritikpunkte. Er hat spontan die Idee zu einem Trinkspiel. Bislang unterhaltsamster Tag.

Tag 28

Ich suche jetzt nach Fototeilen, nicht mehr nach Briefen. Es sind immer noch nicht alle Räume offen. Und die Fototeile können theoretisch überall liegen, auch in bereits besuchten Räumen. Außerdem bekomme ich meiner Meinung nach grundlos dauernd geistige Gesundheit abgezogen (natürlich nur im Spiel, aber lange dauert es nicht mehr...). Ich will nicht mehr!

Tag 30

Das Finale. Und viele Versuche. So sehr ich mich auch bemühe, es dem Algorithmus recht zu machen, immer wieder bekomme ich geisitige Gesundheit abgezogen. Zum Glück ist der letzte "Tag" natürlich extra lang, mit Labyrinth und vielen neuen Türen und Schlüsseln. Nur halt nicht mehr in dem Haus, so viel kann ich gefahrlos verraten, denke ich. Noch ein ätzendes Schalterrätsel und dann... die Endsequenz. Mit ruckelndem Filmchen. Dann der Abspann. Vor dem Bildschirm: Ratlosigkeit. Was hatte das denn jetzt zu bedeuten? Ich bin frustriert. Dafür habe ich die Zähne zusammengebissen? Das ist doch kein anständiges Ende.

Das Fazit

Ja, die Entwickler haben sich Mühe gegeben. Die Steuerung ist ok, die Grafik passt schon und Musik und Sound gehen auch in Ordnung. Der Gruselfaktor ist vorhanden und beim Spielen entsteht Unruhe. Auch zuckt man regelmäßig zusammen. Aber diese Effekte wirken billig und nutzen sich auf Dauer ab. Es wird nicht über die Atmosphäre oder die Story geschockt, sondern rein durch Scare-Jumps. Das ist auf Dauer ein bisschen wenig, auch wenn es auf Partys sicher nicht seine Wirkung verfehlt. Schließlich wird der Horror nach kurzer Zeit von einigen Unzulänglichkeiten überschattet. Die unangenehm abziehfreudige Gesundheitsanzeige ist da einer von zwei großen Faktoren. Dass man so etwas besser hinbekommen kann, zeigt zum Beispiel Anna - Extended Edition.
Die "Hintergrundgeschichte" ist ein Totalausfall. Und die Schlüssel-Sucherei ist keine Rätsel- sondern eine furchtbar nervige Fleißaufgabe, die den Gruselfaktor weiter beeinträchtigt. Den Entwicklern hätte doch über 29 Spielabschnitte sicher auch noch irgendetwas anderes einfallen können. Oder wenigstens eine Markierung der Schlüssel. Wer den Schlüssel zum Gartentor neben einem Schild direkt am Gartentor offen liegen lässt, beschriftet doch auch bestimmt alle im Haus, oder? Damit hätte man wenigstens den Anreiz gehabt, eine Karte zu zeichnen und sich die Räume zu merken. So bleibt es beim planlosen Abrennen des Hauses. Dass dabei um die zehn Stunden Spielzeit entstehen, ist teuer erkauft. Pineview Drive würde mit vier Stunden und der Hälfte des Hauses deutlich besser wirken. Die Substanz reicht auch einfach nicht für mehr.
Wer sich ein bisschen erschrecken lassen oder Freunde herausfordern will, findet sicherlich Gefallen an dem Spiel. Mit einer Adventure-Haltung darf man jedoch auf keinen Fall an das Spiel herangehen.

Adventure-Treff-Wertung: 59%

Links:
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Hans Duschl