Nomadenseele hat geschrieben:
Ich hatte in der Oberstufe eine Deutschlehrerin, die kannte nicht einmal das Nibellungenlied

. Ich habe ihr *Hagen von Tronje* geliehen, was sie spannend fand - dabei ist das wirklich Jugendliteratur.
(Ich gehe mal von Gymnasiallehrern aus:)
Ja, wobei ich da auch ein bißchen die Lehrer in Schutz nehmen muß: Ich selbst hab Magister studiert und mein NDL-Studium (Neuere Deutsche Literaturwissenschaft) ist im Hauptstudium fast dasselbe wie bei den Lehramtstudenten. Sie haben noch Mediävistik und Linguistik, was bei mir nur im Grundstudium noch der Fall war. Das Grundstudium ansich war exakt dasselbe wie bei ihnen. Dann kommt bei den Lehrämtlern noch ein klein wenig Pädagogik dazu und schon ist das Praxissemester da, in dem sie größtenteils hinten drin hocken und dem zusehen, was sie paar Jahre zuvor noch selbst erlebt haben. Und nicht zu vergessen; es wird hier in Ba-Wü großen Wert auf die alten Sprachen gelegt, sprich; fast egal, was du auf Lehramt studierst, Du mußt das Kleine Latinum haben. Hast Du das nicht, darfst Du das innerhalb von 2 Semesters nachholen, was einem Jahr entspricht - und dann darfste in der Prüfung hocken und Ciceros Reden übersetzen. Leute, die Latein in der Schule gelernt haben, wissen, daß das beinahe unmöglich ist - dementsprechend hoch ist auch die Durchfallquote.
Du bist in diesem Studium also mehr mit dem Drumherum beschäftigt als mit der eigentlichen Sache.
Viel Zeit, ein breites Spektrum an Literaturwissen zusammenzutragen, haben sie schlichtweg nicht.
Ich in meinem Magisterstudium kann mich recht bald spezialisieren, auch freiwillig in Vorlesungen gehen (was ich immer getan habe). Ein Lehrämtler hat für solche freiwilligen Sachen keine Zeit, der muß ziemlich strikt seine Scheine abliefern und kann sich das nicht erlauben.
Kurzum: Das komplette Lehratmstudium ist voll verwissenschaftlicht und sollte doch näher am Schüler sein. Die Studenten können eine Doktorarbeit schreiben, können wissenschaftlich argumentieren und denken - und dann gehen sie in die Schule, wo sie wieder etliche Schritte "zurückfahren" müssen. Das ist ein Schock. Sie haben größtenteils Null Ahnung von Pädagogik, zumindest keine große, eine wissenschaftliche (!!!) Ausbildung, wurden nie mit "Alltagsproblemen der Schüler" konfrontiert, haben nie gelernt, einen Unterricht vorzubereiten - und auch von der Schullektüre haben sie größtenteils keinen blassen Dunst, weil sie an der Uni Kant und Tragödientheorien durchgekaut haben...
Eine Freundin von mir hatte einen Nervenzusammenbruch nach dem anderen, weil sie dem Leistungsdruck, der Spannung, die so aufgebaut wird, zunächst nicht standhalten konnte.
Wir glauben, Lehrer müßten dies oder jenes doch wissen - aber von ihrem Studium her können sie schlichtweg nicht alles wissen. Das müßten sie sich in ihrer Freizeit aneignen, wenn sie einmal in ihrem Beruf Routine gewonnen haben. Und das ist dann mit zusätzlicher Arbeit verbunden - macht kaum einer. Das ist die fehlende Leidenschaft, die ich meine. Vielleicht wurde die auch im Lauf der Zeit gebrochen, ich weiß es nicht.
Meine Lehrerin kannte vieles nicht, was ich damals gelesen habe an Weltliteratur. Einfach aus Spaß und Neugier, weil ich das nie in der Schule gelernt hatte. Da ich von der Realschule komme, d.h. zuerst einen Realschulabschluß gemacht habe und den Gymnasialabschluß innerhalb von 3 Jahren nachholte, kannte ich z.B. kaum etwas von Schiller udn Goethe. Also hab ich gelesen, was ging, weil Literatur schon immer eine meiner größten Leidneschaften gewesen ist. Aber ich schweife ab.
Ich bin zu der besagten Lehrerin gegangen und meinte: "Ich lese gerade
Die Buddenbrooks und verstehe nicht recht; was sind denn Konsuln? Sie wusste es nicht und hat mich zu meinem Literaturlehrer geschickt. Der wusste das. Weil er ein leidenschaftlicher Leser war und auch das nötige Geschichtswissen hatte.
Mir tun sie manchmal leid, die Lehrer. Bei manchen von ihnen schüttle ich den Kopf und denke, das kanns doch jetzt echt nicht sein, aber bei manchen sieht man, daß Interesse da ist, aber schlichtweg das Wissen fehlt. Bei einem solchen Studium ist das - mit Verlaub - auch echt kein Wunder.
