The 7th Guest

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holgocop
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The 7th Guest

Beitrag von holgocop »

„The 7th Guest“

Hier haben wir es also. Das Verkaufsargument für das Medium CD-Rom. Ich kann mich noch an die damaligen Diskussionen erinnern: Was für ein Stoß Disketten, welch unnatürlich hohe Anzahl an Speicherplatz und welch lange Installationszeiten nötig wären, gäbe es da nicht seit kurzem (zumindest im Computer-Bereich) diese runden, schillernden Plastikscheiben. Also, der Grundstein für die kommenden Jahre des Datenspeichers war gelegt (und "Rebell Assault" konnte schließlich auch den Letzten vom Kauf eines Laufwerks überzeugen).

Und was da für ein Aufwand betrieben wurde: Echte Schauspieler, hochqualitativ gerenderte Animationssequenzen und … spielerischer Leerlauf. Trilobyte schuf das beeindruckendst aussehende Trivialspiel der 90er Jahre (weitere Ableger derselben Spieleschmiede sollten folgen – „11th Hour“, „Clandestiny“, „Henry´s Playhouse“ – doch keines mehr an den immensen Erfolg vom 7. Gast anknüpfen).

Henry Stauff, ein abgewrackter, vom Leben enttäuschter Penner, verdingt sich seinen Lebensunterhalt mit kleineren Diebstählen. Doch dann ermordet er eine Frau die gerade auf dem Weg nach Hause ist und auf einmal fangen diese Stimmen an zu ihm zu sprechen. Sagen ihm, er hätte Talent Spielzeug zu fertigen. Zeigen ihm Bilder eines großen, düsteren Hauses. Stauff (das etwas missglückte Anagramm zu „Faust“ deutet es an) geht einen Pakt mit den Stimmen (offensichtlich der Teufel) ein und beginnt mit der Produktion von Spielzeug. Die Menschen sind begeistert und reissen sie ihm förmlich aus den Händen. Stauff wird reich, sehr reich. Er baut ein großes Haus am Rande der Stadt, das dem gleicht, das ihm damals die Stimmen zeigten. Doch dann beginnen die ersten Kinder zu sterben und Stauff zieht sich aus dem Spielzeuggeschäft zurück. Nur wenig hat man seitdem von dem mysteriösen Mann gehört, gesehen hat man ihn seit Ewigkeiten nicht mehr. Es geht das Gerücht er sei tot. Doch dann erreicht eine handgeschriebene Einladung sechs völlig unterschiedliche Personen, die über ganz Amerika verteilt leben. Stauff lädt sie in sein Haus, und verspricht dem der am Ende alle seine Rätsel gelöst hat (und überlebt) seinen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. Sie alle kommen, doch keiner von ihnen hat mit ihm gerechnet: dem siebten Gast. Denn in Wirklichkeit ist ER es, den Stauff haben will.

Die Geschichte ist nicht gerade ein überquellendes Fass an Inspiration. Es lassen sich Versatzstücke aus eben „Faust“, aber auch „Haunted Hill“ mehr als deutlich erkennen. Dennoch wird sie im Rahmen der damaligen Möglichkeiten interessant und vor allem spannend, mysteriös erzählt. Dennoch wage ich zu behaupten, ohne des dazugehörigen Romans hätte ich das Ganze nicht so wirklich verstanden.

Als siebter Gast durchstreift ihr in Ego-Perspektive á la „Myst“ das mittlerweile verfallene Herrenhaus, denn die Einladung ist schon lange her und ihr begegnet den anderen Gästen nur noch als geisterhafte Gestalten. Besonderheit gegenüber anderen Spielen mit gefilmten Sequenzen (etwa „Sherlock Holmes - Consulting Detective“) ist, das es hier keine kleinen Videofenster gibt sondern alles im Vollbild-Format präsentiert wird. Dafür gibt es während dieser Stellen keine Kamerafahrten und die Personen wirken recht pixelig. Außerdem ist der durchscheinende Geistereffekt wohl eher der schlechten Technik als wirklicher Absicht entsprungen. Unfähigkeit als Mittel zum Zweck. Im Gegensatz dazu jedoch, können sich die vorgerenderten Kamerafahrten durch das Haus sehen lassen. Leider lassen sie sich, im Gegensatz zum Nachfolger „The 11th Hour“und ähnlich wie bei „Ripper“ nicht abbrechen, was mitunter zu minutenlangen Wanderwegen führen kann.

Im Gegensatz zu normalen Adventures gibt es weder ein Inventar noch sonstige wirkliche Interaktionsmöglichkeiten. Einzig Rätsel gibt es zu lösen, die aber anders als bei „Myst“ nichts mit der wirklichen Handlung zu tun haben. Gemacht werden müssen sie trotzdem. Denn mit jedem weiteren geschafften Rätsel öffnen sich die restlichen Zimmer des Hauses, bis man schließlich auf dem Dachboden dem Showdown entgegen … äh … rendert.

Die Rätsel und damit das Kernstück, nein besser: das Spiel, bewegen sich auf äußerst unterschiedlichem Niveau. Es gilt angenehm intelligente Logikrätsel zu lösen, die tatsächlich Spaß machen, dann abstrus einfache, weil beinahe vom Computer vorgegebene Buchstabenrätsel, dann aber wieder extrem schwere und teils nur durch Zufall schaffbare Rätsel (etwa ein Spiel gegen Stauff in dem man Bazillen züchtet die sich gegenseitig auffressen). Den Vogel jedoch schossen die Entwickler mit einem, für Deutsche absolut, unlösbaren Rätsel ab: In der Küche muss man einen langen Satz aus mit Buchstaben bedruckten Dosen bilden. Der Clou: Sämtliche verfügbaren Vokale sind „Y“. Auch wenn ich nur ungern spoilere, möchte ich doch mit der Lösung auf die Schwierigkeit dieses Unterfangens hinweisen. Wenn ich mich Recht erinnere, hieß der Lösungssatz in etwa: „Shy gypsy slyly by my crypt.“ Entschuldigt bitte, aber was habt ihr euch denn dabei gedacht, liebe Trilobyten? Hinzufügend muss erwähnt werden, dass das Spiel auch in der dt. Version nur englische Sprachausgabe und KEINE Untertitel besitzt. Zudem darf das damals obligatorische labyrinth natürlich auch nicht fehlen, das sich aber Dank eines Teppichs recht gut schaffen lässt.

Die Schauspieler sind wirklich keine A-Mimen, aber irgendwie war es damals trotzdem beeindruckend. Ich meine, Hey, der Cyan-Typ (heißt der nicht Rand Miller, oder so?) der Arthur in „Myst“ spielt wird auch nie einen Oskar gewinnen. Die Grafik ist top, auch wenn es sich um nichts anderes als eine Renderstudie handelt, die man ohne Rätsel auch mit einem Architekturprogramm erleben kann. Zwischendrin gibt es ein paar nette Gags, wie Hände die sich durch ein Bild drücken wollen. Und damals hat sich tatsächlich eine wohlige Gruselstimmung in mir ausgebreitet. Einen großen Pluspunkt gibt es jedoch für den starken Soundtrack von George – the fatman – Sanger. Der passt jederzeit wunderbar ins Spiel und kann auch noch auf Disc 2 im CD-Player angehört werden (Super: das Abschluss-Stück „Skeletons in my Closett“ – und ich dachte immer es ginge ums Klo – mit Sängerin und Big Band).

Auch wenn ich das Spiel immer wieder gerne raushole und ein wenig anzocke, muss man doch zugeben dass es nicht nur die Zeit war die an „The 7th Guest“ genagt hat. Es war auch damals niemals ein gutes Spiel. Unterhaltsam, okay, aber eher eine Technikdemo, um zu zeigen was man grafisch so auf den Bildschirm zaubern kann. Aber ein fesselndes Spiel mit Tiefe war es nie. Dennoch sollte der geneigte Adventure-Klassik-Freund einen Blick darauf riskieren.

PS: Auf jeden Fall kompatibel mit Dosbox
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