
Lucius, Namensgeber und Hauptcharakter des Spiels, ist ein vom Teufel besessenes Knäblein, das vom Spieler gesteuert wird und dessen Aufgabe es ist, diverse Personen des Haushaltes auf eine mal mehr mal weniger kreative Art und Weise zu töten.
Quel malheur! So etwas sorgt für Kritik bzw. für eine Indizierung in Deutschland. Warum?
Schließlich gibt es im filmischen Bereich auch "Das Omen" oder eine Vielzahl anderer Filme, die in ihren Gewaltdarstellungen höchst kreativ und explizit sind, böse Helden haben, die erfolgreich alles zu einem noch viel schlimmeren Ende bringen.
Die Antwort für die Billigung des einen und Ablehnung des anderen (gerne begleitet von entsprechender Wie-kann-man-nur-Entrüstung) ist meist jene, dass man in Filmen im Unterschied zum Spiel "zumindest" nicht selbst den jeweiligen Charakter steuert, sondern lediglich passiv rezipiert.
Irgendwie finde ich (großteils friedliebendes Menschlein) diese Antwort wenig zufriedenstellend, weshalb die Denkgäule durchgingen und sich die Frage stellte: Kann man das auch anders sehen (ohne gleich ein böser und schlechter Mensch zu sein)? Kann man in "Lucius" einen Sinn sehen (ohne ein "Un" oder "Wahn" davorstellen zu müssen)?
Meine Antwort muss logischerweise "Ja" lauten, weil ich sonst keinen Grund hätte, hier herumzukommentieren. Und eine entsprechende Begründung (basierend auf meinungsschweren Behauptungen) fällt mir doch tatsächlich auch noch ein:
Meiner Meinung nach, wird durch die Vielzahl Gewalt darstellender und verherrlichender Filme eine viel stärkere Desensibilisierung produziert als durch solche Spiele wie "Lucius".
Der filmische Gewaltüberfluss sorgt ja sogar schon dafür, dass man grauslige seriöse Nachrichten relativ stumpf und distanziert zur Kenntnis nimmt.
Der Film ist nur ein Film, den man passiv aufnimmt (man ist höchstens zusätzlich auch noch aktiv davon abgelenkt), eventuell ein bisserl auf sich einwirken lässt, ohne großartig weitere Gedanken darüber zu verlieren (wenn man das nicht unbedingt möchte).
Ein Spiel ist zwar auch nur ein Spiel, aber durch die geforderte Aktivität, ist man immer irgendwie gezwungen, sich damit näher auseinanderzusetzen.*
Und wenn man nun die Toilettenspülung zieht und einen Wirbel verursacht, wird die Kritik am Spiel zu ihrem Vorteil.
Genau dadurch, dass wir in "Lucius" selbst der böse handelnde Agent sind**, werden wir viel stärker dazu gezwungen, Selbstreflexion zu betreiben als bei Filmen, die man einfach so hinnimmt. Auch dass hier das Töten nicht abstrahiert (verharmlost?) wird, indem Menschen mit Monstern substituiert werden, erhöht diese Lektion zusätzlich.
Das Spiel bietet die Möglichkeit, so zu handeln, wie man es in der Realität (hoffentlich!) niemals tun würde und kann somit durchaus die Selbsterkenntnis und den eigenen Erfahrungsschatz erweitern - wie abgestoßen ist man von dem, was man da gerade tut, was spielt sich da emotional sonst noch alles ab? usw. usf.
(Wenn jemand womöglich plötzlich merkt, wie viel Spaß das macht, hat derjenige wohl gleich zusätzlich noch viel mehr Stoff, Selbstreflexion zu betreiben... und sich um eine Therapie zu kümmern...)
Kurz: beim aktiven Spielen hat man stärker die Möglichkeit, sich selbst besser kennenzulernen als beim passiven Schauen eines Films. Das gilt sowohl für die guten als auch die schlechten Handlungen. Und den Umgang/die Erfahrung mit letzteren ins Virtuelle zu verlagern, scheint mir keine ganz so schlechte Variante zu sein.
Der "vernünftige" Menschenverstand ist hoffentlich von den Handlungen eines Lucius abgestoßen und hat wohl auch wenig Bedürfnis, das in allen Zügen nachzuvollziehen, aber als gewisse Form der Bereicherung und Erweiterung der Selbsterkenntnis, mag man der Sache dann vielleicht doch nicht gänzlich ablehnend gegenüberstehen.
(Nicht, dass ich jetzt das Spiel als Spiel gut und empfehlenswert finden würde. Das ist eine ganz andere Geschichte, die viel mit dem Wort "anstrengend" zu tun hat...)
Persönlich plädiere ich eigentlich sehr dafür, möglichst viel von Vielem zu verstehen, womit man dann in der Folge natürlich nicht automatisch auch einverstanden sein muss.
Und selbstverständlich darf auf meine Behauptung hin ebenfalls die Frage gestellt werden: Kann man das auch anders sehen? (Und sie mit "Ja" zu beantworten ist natürlich genauso erlaubt.)

Eine offensichtliche alternative Sicht der Dinge wäre zweifelsohne, das Spiel einfach grundsätzlich nicht ernstzunehmen (was eigentlich immer und (fast) überall eine gute Alternative ist).
Ein Hoch auf den Welttoilettentag! *flush*
blubb
* Insbesondere dann, wenn es ein Spiel mit Handlung ist und kein simpler Shooter (für letztere mag die hier vorgebrachte Argumentation mangels Ansporn zum Mitdenken möglicherweise nicht mehr so ganz zutreffend sein).
** Wobei auch Lucius letztlich die Flucht in die Distanz bietet, weil der Bub' ja nicht wirklich böse, sondern "nur" besessen ist (die wahrscheinlich beliebteste Ausrede aller Zeiten...).