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Test

von  Jan "DasJan" Schneider
21.08.2006
Paradise
Getestet auf Windows, Sprache Deutsch

Die Erwartungshaltung war hoch: Syberia-Fans und andere Adventure-Liebhaber haben mit Spannung darauf gewartet, was der Designer des Syberia-Doppels mit seiner neu gegründeten Firma White Birds Productions auf die Beine stellt. Nachdem die US-Version im Frühjahr auf den Markt gekommen ist, war die Enttäuschung zunächst groß, denn Reviewer und Spieler haben gleichermaßen über Bugs und Designschnitzer geklagt. Aus diesem Grund hat sich dtp dazu entschlossen, einige Monate länger mit der Veröffentlichung zu warten und erst eine verbesserte Version auf den Markt zu bringen. Ob sich das Warten gelohnt hat lest ihr in diesem Test.

Harte Landung

Die Handlung von Paradise findet in der fiktiven afrikanischen Diktatur Maurania statt, in der es alles andere als paradiesisch zugeht. König Rodon verliert allmählich die Kontrolle über sein Land und Widerständler gewinnen immer mehr Macht. In diese instabilen Verhältnisse hinein stürzt eine junge, dunkelhäutige Schweizerin mit ihrem Flugzeug, wonach sie von Angestellten des Königspalastes in der Hauptstadt Madargane wieder aufgepäppelt wird. An den Grund ihrer Reise, geschweige denn an ihren Namen, erinnert sie sich allerdings nicht mehr.

Dem Spieler wird schnell klar, wer sich hinter Ann Smith, wie die Hauptfigur mangels richtigem Namen genannt wird, eigentlich verbirgt: es ist die Tochter von König Rodon, die offenbar auf dem Weg zu ihrem Vater von den Rebellen abgeschossen wurde. Zehn Jahre zuvor war ihre Mutter zusammen mit ihr in die Schweiz geflohen, wo beide seitdem gelebt haben. Ann Smith selbst weiß aber nichts von ihrer wahren Identität und so lässt sie sich bei ihrer eigentlichen Mission, nämlich einen schwarzen Leoparden an den Ort seiner Geburt zurückzubringen, von Rebellen anheuern, um gegen ihren Vater zu revoltieren. Ein innerer Konflikt, wie er größer kaum sein könnte.

Leider ist die Geschichte nicht in allen Punkten ganz nachvollziehbar. Wieso soll man den schwarzen Leoparden an den Ort seiner Geburt zurückbringen? Wieso verweigert sich Ann Smith krampfhaft der Erkenntnis, wer sie wirklich ist? Und wieso handeln manche Charaktere so, wie sie handeln? Während ihrer Reise durch Maurania erfährt der Spieler immer mehr Details zur Geschichte, Ann Smith scheint davon aber weitgehend unberührt zu bleiben. Eine Diskrepanz, die Paradise nicht gut tut.

Sokalsche Traumwelt

Stilistisch hat der Comiczeichner Benoît Sokal dem Spiel wieder seinen unverwechselbaren Stempel aufgedrückt. So realistisch die Versatzstücke der Geschichte auch sind, eine dem Untergang geweihte Dikatur, eine zerrüttete Familie, nahezu fotorealistisch gerenderte Szenen, so comichaft überzeichnet, so entrückt aus der Realität wirken auf der anderen Seite Charaktere und die Situationen, die diese erleben. So begegnet man neben allerlei originellen Fantasie-Tieren einem in den Baumkronen hausenden Eingeborenenstamm, dessen religiöse Überzeugung ihm verbietet, den Erdboden zu betreten, sodass selbst die Toten an Pfähle gebunden in ein bis zwei Meter Höhe bestattet werden. An anderer Stelle lässt ein herrschsüchtiger Minenaufseher seine Arbeiter immer tiefer und tiefer ins Erdreich graben, obwohl an dieser Stelle seit Jahren keine Smaragde mehr gefunden wurden.

Dünne Spielwelt

Ein interessantes Szenario also, das nur noch mit einem interessanten Spiel bevölkert werden musste. Hierbei hat White Birds Productions jedoch kein besonders glückliches Händchen bewiesen. Die Voraussetzungen waren gut: die Hintergründe sind z.B. wieder hervorragend gerendert und kommen für sich genommen schon fast an die großartigen Syberia-Grafiken heran. Die Sepia-Farben in Wüstengegenden und die diesigen Dschungel-Szenen versprühen viel der verträumten Sokal-Welt. Die Dynamik ist allerdings eher mäßig. Häufig fliegen kleine, punktförmige Tiere durchs Bild und in einigen Szenen regnet es, echte vorgerenderte Animationen des Hintergrundes sind aber nur sehr selten zu sehen. Auch bei Wasser wird Bewegung oft nur durch Bildverzerrungen erreicht.

Dies verwundert aber kaum, denn die Entwickler haben für das Spiel so viele Hintergründe gerendert, dass eine Belebung derselben jedes Budget gesprengt hätte. Und nicht nur mit der optischen Belebung hapert es, auch mit dem bereichern der Welt durch Spielinhalte. Was bei Syberia noch als Designentscheidung von manchen begrüßt, von anderen verurteilt wurde, entwickelt sich bei Paradise zum Dogma. Etliche Bilder bieten dem Spieler außer zwei Ausgängen keinen einzigen Hotspot an, umso leicher lässt sich dann einer davon übersehen. Und wenn schließlich einer der wenigen anklickbaren Objekte gefunden wurde, dann ist die Interaktion (also "nehmen", "drücken" und so weiter) oft die einzige Möglichkeit, selbst auf beschreibende Kommentare ("untersuche") muss man häufig verzichten.

In der technischen Umsetzung darf man kein Syberia-Niveau erwarten. Es hat sich zwar in der Tat einiges getan seit der zu früh veröffentlichten US-Version, die "hellen Schatten" beispielsweise, die in einigen Screenshots zu sehen waren, sind fast gänzlich aus dem Spiel verschwunden. Eine richtig zufriedenstellende Engine liefert White Birds aber trotzdem nicht ab. Charaktere sind gelegentlich zu blass, manche Schatten sind immer noch zu hell und der Cursor macht nicht immer, was er soll. Spielbar ist Paradise aber allemal und der 3D-Schattenwurf sieht manchmal sogar richtig schick aus.

Von Rätseln und Leoparden

So dünn die Welt mit Inhalten besiedelt ist, so groß ist sie zum Glück auch. Da White Birds sich die Mühe gemacht hat, unzählige Hintergründe zu rendern, gibt es immer noch eine ganze Reihe von Aufgaben zu bewältigen. Hierbei überwiegen neben einigen nicht zu schwierigen Maschinenrätseln klassische Inventarrätsel. Da muss ein Parfum gemixt werden, es gilt ein Auto zu reparieren und - wie man es gewohnt ist - diese und jene Aufgabe für diesen und jenen zu erledigen. Würde man alle Objekte auf Anhieb finden, so würden die Rätsel in Paradise kein größeres Problem darstellen. Reibungsloser würde es auch ablaufen, wenn Ann Smith öfter einmal Objekte in der Umgebung oder im Inventar kommentieren könnte, was eher selten der Fall ist. Mehr als 10 Stunden wird wohl kaum jemand für Paradise benötigen, besonders kurz ist das Spiel im Vergleich mit anderen Titeln aber auch nicht.

Der Leopard wird auch spielerisch in Paradise eingebunden. Gelegentlich übernimmt der Spieler nämlich die Rolle des edlen Tieres und muss zu einem bestimmten Ort gelangen. Diese Abschnitte werden in wenig ansprechendem Echtzeit-3D dargestellt und gesteuert. Man sieht dabei den Leoparden wie üblich aus der 3. Person und klickt mit einem speziellen Cursor dorthin, wohin sich der Leopard bewegen soll. Die Steuerung funktioniert dabei leider nicht besonders gut. Rätsel gilt es in den Leoparden-Szenen nicht zu lösen, da es weder ein Inventar gibt noch die Möglichkeit, mit der Umgebung zu interagieren. Aus diesem Grund wirken die entsprechenden Stellen im Spiel eher überflüssig, immerhin dürfen Spieler sie aber mit einem Druck auf ESC abbrechen.

Feine Akustik

Sehr positiv zu bewerten ist die Musik. Zwar finden sich im Paradise-Soundtrack keine Ohrwürmer zum Mitträllern, die orchestralen Klänge tragen jedoch einen ordentlichen Teil zur Atmosphäre bei. Stets zur aktuellen Szene passend ist sie ständig im Hintergrund zu hören, ohne aufdringlich zu werden. Ebenso gelungen sind die Soundeffekte und die ambienten Hintergrundgeräusche.

Auch die Sprachausgabe ist wieder professionell durchgeführt worden: die Sprecher machen durchweg den Eindruck, als wüssten sie, worum es geht. Lediglich bei einigen Charakteren würde man sich eine Stimme wünschen, die etwas "afrikanischer" klingt.

Verpasste Chance

Sokal hat wieder einmal das gemacht, was er am besten kann: ein hochinteressantes Design für eine Spielwelt entworfen. Man braucht aber dann auch ein Team, was daraus ein gutes Spiel macht und da war Microïds dem neu zusammengewüfelten Studio White Birds Productions deutlich überlegen. So mangelt es der hübschen Spielwelt an Interaktivität und die nicht immer ganz nachvollziehbare Geschichte, die ein wenig im Schatten von Syberia steht, gibt zuweilen Rätsel auf. Trotzdem kann man sich an Ann Smith und ihre Reise durch die verfremdeten Länder Mauranias gewöhnen: wer Syberia liebgewonnen hat, der dürfte auch an Paradise Freude haben, wenn er nicht zu viel vom neuen Sokal erwartet. Es bleibt zu hoffen, dass das Team aus seinen Fehlern lernt und mit dem nächsten Projekt wieder eine höhere Qualität abliefern kann.

thumb
Der Comic zum Spiel Neben dem Spiel gibt es auch einen Comic zur neuen Welt von Benoît Sokal. Paradise: La Saison des Orages (kaufen) und Paradise: Le désert des Molgraves (kaufen) sind beim Casterman-Verlag erschienen und bisher nur in französischer Sprache erhältlich. La Saison des Orages erzählt den ersten Teil des Spiels, der im Harem des Prinzen und Madargane spielt, Le désert des Molgraves deckt den Teil im Dorf der Molgraven ab. Die Szenerien sind im Comic schnell wiederzuerkennen, viele Ort haben den identischen Grundriss wie im Spiel. Inhaltlich gibt es jedoch Unterschiede: für das Spiel hat man sich zusätzliche Aufgaben ausgedacht wie zum Beispiel dass Herstellen des Parfums. Auch das Kleid der Lieblingsfrau wird im Comic eher mit Gewalt als mit Köpfchen besorgt. Zudem ist dort jede Menge nackte Haut zu sehen, die man den Spielern des Spiels vorenthält.

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Eigentlich war es zu erwarten, dass Sokal mit einem völlig neu zusammengewürfeltem Team und vermutlich viel kleinerem Budget nicht an die Qualität von Syberia heranreichen konnte. Enttäuscht war ich trotzdem ein wenig, denn einige Designschnitzer hätte man sich ohne großen Aufwand sparen können.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • Fantasievolle Spielwelt
  • Edle Hintergründe
  • Klasse Soundtrack
  • Gute Sprachausgabe
  • Dünne Spielwelt
  • Lücken in der Geschichte
  • Wenig Möglichkeit zur Interaktion
  • Wenige Animationen