Anzeige

Interviews

Jonathan Boakes (Zweiter Teil)
Gesprächspartner: Ingmar Böke
Sprache:
Vom: 12.04.2010

Über

Durch The Lost Crown und die Dark-Fall-Reihe machte sich der Entwickler Jonathan Boakes auch über die Indie-Szene hinaus einen Namen. Boakes ist der Kopf des im britischen Cornwall beheimateten Studios Darkling Room, welches er im Alleingang betreibt.



A-T: In einem der letzten Adventure-Treff-Interviews sprach Dave Gilbert über seine Faszination für die emotionale Kraft, die Geistergeschichten beinhalten können und nannte zentrale Motive wie etwa Verlust, zweite Chancen und das Streben nach einem Abschluss. Du beschäftigst dich in deinen Spielen ja nun selbst schon seit recht langer Zeit mit Geistergeschichten. Was für Gründe siehst du dafür, dass du immer wieder in diese Welten zurückkehrst und wie genau entstand eigentlich dein Interesse an der Welt des Paranormalen?

Jonathan: Meine Faszination wurde vor vielen Jahren in den anliegenden Wäldern der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, durch den „Geist eines Lebenden“ geweckt. Es war ein heißer Nachmittag wie jeder andere, an dem ich mit meinem Hund Jack durch die Landschaft gewandert bin, ohne mir irgendetwas Besonderes zu denken. Kurz bevor ich mich wieder auf den Weg nach Hause machen wollte, habe ich eine Gestalt in der Landschaft wahrgenommen, an der zunächst nichts ungewöhnlich zu sein schien, aber sie bewegte sich auf eine merkwürdige Art im Kreis, die mich zu interessieren begann. Ich konnte die obere Hälfte dieser Person von der Taille aufwärts erkennen und sah, dass sie ganz normale Kleidung trug, wie sie auch ich, oder jeder andere Teenager zu der Zeit trug.



Eine Weile lang habe ich dem merkwürdigen Treiben der Person zugesehen, bis sie plötzlich innehielt und mich mit ihren Blicken genau ins Visier nahm. Dieses Starren dauerte für mehrere Sekunden an und fühlte sich wirklich ganz schön seltsam an. Dann verschwand die Sonne hinter einer Wolke und die Landschaft um mich herum fühlte sich auf einmal bedrohlich und merkwürdig an… auf eine Art zeitlos. Und genauso plötzlich, wie sie auch aufgetaucht war, verschwand die Person hinter den Bäumen und wurde nie wieder gesehen. Ich dachte mir, dass da jemand nach etwas gesucht haben musste und ging an den Ort… vielleicht würde ich ja finden, worauf es diese Person abgesehen hatte. Ich habe den Platz abgesucht, ohne eine Spur zu finden, bis mir plötzlich ein Licht aufging. Bei meiner Suche habe ich exakt dieselben Bewegungen gemacht, wie die Person, die ich gesehen habe. Ich drehte mich um und blickte dorthin, wo ich zuvor gestanden hatte, während ich dem merkwürdigen Treiben des Unbekannten zusah und auf einmal wurde mir mit einem Frösteln klar, dass ich dabei war, mich selbst anzustarren! Als dann die Sonne wieder herauskam, war die seltsame Atmosphäre verflogen. Es war eine ganz schön gruselige Begegnung, die ich nicht erklären kann, aber sie ist der Startschuss für meine Auseinandersetzung mit dem Übernatürlichen gewesen.





Der „Geist eines Lebenden“ kann ebenso faszinierend sein, wie der eines Toten und in meinen Spielen tauchen regelmäßig beide Sorten von Geistern auf. Ich denke ohnehin, dass zu viele Autoren zu vorschnell darüber urteilen, was Geister eigentlich sind. Handelt es sich bei ihnen wirklich um die körperlosen Seelen der Toten, die auf der Suche nach Antworten sind? Oder geht sehr viel Bedrohlicheres vor sich? Ich frage mich, ob unsere Existenz hier auf die Erde wirklich so stark ist, wie wir gerne glauben und es nicht darum geht, unserem kurzen Leben und der limitierten Zeit, die uns bleibt, einen Sinn zu geben. Wenn sich das ein bisschen verrückt für dich anhört, hast du wahrscheinlich recht. Aber nach dem Ereignis in den Wäldern und dem Studium von etlichen realen und fiktionalen Geistergeschichten habe ich eine merkwürdige Perspektive entwickelt und habe jede Menge an Theorien zu verrückten esoterischen Phänomenen in meinem Kopf. Und diese Dinge wirken sich natürlich sehr förderlich auf mein Schreiben aus. Daher kehre ich in meinen Spielen wohl auch regelmäßig zum Thema Geister zurück. Es ist ein sehr interessantes Gebiet, in dem es viel zu entdecken gibt. Dabei bin ich gar nicht mal so sehr an den traditionellen Geistermotiven interessiert, die schon so unglaublich oft verwendet wurden, sondern eher an neueren Erfahrungen, die mit urbanen Schauplätzen zusammenhängen. Ich will damit natürlich nicht sagen, dass die klassischen Geistermotive langweilig sind, aber es wäre echt an der Zeit für ein paar neue Interpretationen.

A-T: Deine Spiele verwenden Methoden, die auch von realen paranormalen Entwicklern verwendet werden. Genau genommen hast du selbst einiges an Erfahrungen im praktischen Bereich der paranormalen Forschung sammeln können. Bitte gib uns also einen Einblick in deine Erfahrungen auf diesem Gebiet.

Jonathan: Sehr wichtig ist es bei solchen „Geisterjagden“, seine Objektivität aufrecht zu erhalten und sich seiner Gedanken und Gefühle während einer solchen Ermittlung genau bewusst zu sein. Zu viele dieser Geisterjäger reimen sich einen Haufen Blödsinn zusammen, wenn es um das geht, was sie gesehen oder gehört haben. Ein Klassiker als konkretes Beispiel: Die oberflächliche Aussage „Die Tür hat sich von selbst geöffnet“ wird als Beweismaterial aufgeführt. Aber in welchem Ausmaß hat sich die Tür eigentlich bewegt? Hat sich die Türklinke bewegt? Gab es überhaupt eine Türklinke? War es windig?





Sehr oft werden all solche Details in den Aufzeichnungen einfach rausgehalten und es scheint vielen in erster Linie darum zu gehen, Angst zu bekommen, zu schreien und aus dem Gebäude zu rennen. Und ich gebe zu, dass auch ich so etwas getan habe, aber das, was mich mittlerweile wirklich an der ganzen Sache interessiert, ist die Frage, was genau Geister eigentlich sind. Was wollen sie? Was versuchen sie uns mitzuteilen? Ich denke, dass coole Filme wie Paranormal Activity und Blair Witch Project dazu beigetragen haben, dass sich Leute mit so einem Thema auseinandersetzen, aber wir sind nach wie vor kein Stück näher daran, irgendetwas zu beweisen. Wenn die moderne Geisterjagd in den letzten Jahren etwas bewiesen hat, dann wie leichtgläubig viele Menschen sind und wie sehr wir es lieben, uns aus Angst vor unserem eigenem Verstand in die Hose zu machen. Das Ganze ist eine Konfrontation zwischen Entertainment und Wissenschaft. Und man kann beides bekommen, sollte aber nicht glauben, ein Geisterjäger zu sein, weil man die ganze Nacht auf einem Friedhof auf der Lauer liegt oder mit Ouijaboards herumexperimentiert. Dieser Teil ist lediglich die spaßige Seite des Ganzen.

A-T: Die offensichtliche Folgefrage: Inwiefern siehst du dich selbst als „gläubig“ oder „nichtgläubig“ und in welchem Ausmaß haben deine ganz persönlichen Erlebnisse bei Geisterjagden zu diesem Bild beigetragen?

Jonathan: Nun, als Teil der Recherchearbeit zu The Lost Crown bin ich einer Geisterjägergruppe beigetreten und habe an vielen ihrer Ermittlungen teilgenommen. Die Aufzeichnungen zu den verschiedenen Fällen lassen sich übrigens auf der entsprechenden Website finden. Es sieht so aus, dass ich nach wie vor einen vollständig manifestierten Beweis sehen muss, also bin ich grundlegend kein „Gläubiger“, da ich nie einen klassischen Geist zu Gesicht bekommen habe… und dennoch habe ich viele merkwürdige Dinge gesehen und gehört. Es hat auch einen Grund, dass ich gerne technologische Apparaturen in meine Geisterspiele einbaue, denn ich glaube, dass irgendwann der Punkt kommen wird, an dem Technologie die Frage beantworten wird, worum es sich bei Geistern eigentlich handelt.



Viele Menschen klammern sich an die Vorstellung, dass es sich bei Geistern um die Seelen derer handelt, die uns zu ihren Lebzeiten etwas bedeutet haben. Ich glaube nicht daran, auch wenn ich mir wünschen würde, es wäre anders, denn es würde bedeuten, dass Leben nach dem Tod existiert und wir mehr sind als Gedanken und bloßes Fleisch. Am wahrscheinlichsten ist es wohl, dass paranormale Phänomene ihre Erklärung in der Wissenschaft finden werden. Aber dadurch werden Geister natürlich nicht weniger interessant. Meine erste Frage, wenn wirklich Wesen von anderen Orten oder anderen Zeiten unsere Welt besuchen, wäre die nach dem Warum. Weshalb kommen sie hierhin, was wollen sie? Kann es sein, dass die Toten an einem anderen Ort weiterleben, aber neidisch auf unseren Status als Lebende auf dieser Welt sind und ihn für sich selbst beanspruchen? Oder handelt es sich bei Geistern vielleicht um eine Art von Invasoren, die permanent versuchen, in unsere Welt überzutreten? Das sind wirklich verrückte Ideen, aber hey… sie liefern eine tolle Grundlage für unterhaltsame Spiele.



A-T: Du lebst in einer Region, die vor Historie und mysteriösen Geschichten geradezu überquillt und bekanntlich spielen diese lokalen Elemente in deinen Spielen eine wichtige Rolle. Bitte erzähl uns also etwas über deine Reisen durch die Region, das Studium lokaler Geschichte und Legenden und versuche uns näher zu bringen, wie wir uns Jonathan Boakes auf der Suche nach Inspiration für ein neues Spiel vorstellen können.

Jonathan: Cornwall, eine Gegend an Englands Südwestküste, hat eine sehr weit zurückreichende Geschichte, die viele Touristen nicht wirklich erfassen können, wenn sie es im Urlaub besuchen. Es ist kein Wunder, dass diese Gegend gerade im Sommer so beliebt ist, denn es gibt viele Strände und andere Örtlichkeiten von atemberaubender Schönheit. Aber nur ein längerer Aufenthalt wird Besuchern all die wundervollen Dinge offenbaren, die ich in meinen Spielen nur andeuten kann. Die Historie von Cornwall lässt sich sehr, sehr weit zurückverfolgen, angefangen bei denen, die die mysteriösen Steinkreise erbaut haben, die sich in der Landschaft verstecken. Sowohl für Besucher als auch Akademiker ist es ein anhaltendes Rätsel, zu welchem Zweck diese Monumente damals gebaut wurden. Für mich sind sie eine großartige Inspirationsquelle, wenn ich durch die Landschaft wandere und mir Szenen für zukünftige Spiele durch den Kopf gehen.



Ich recherchiere sehr viel, wenn es um die hiesigen Mythen und Legenden geht, sowohl online als auch in den Archiven der Gemeinden. Manchmal komme ich mir dabei wirklich vor, als wäre ich selbst Teil eines Spiels, wenn ich einer Spur nachgehe und darauf warte, dass der nächste Hinweis auftaucht.



Um mal ein konkretes Beispiel zu geben, will ich über einen Ort reden, der in meinem nächsten Spiel, The Last Crown: Haunting of Hallowed Isle, vorkommen wird. Viele von euch werden wahrscheinlich wissen, dass die Crown-Spiele Fotografien von realen Schauplätzen in Cornwall enthalten, in denen dreidimensionale Charaktere die Umgebungen erforschen. Es ist eine ungewöhnliche Methode, Spiele zu machen und wesentlich komplizierter, als manch einer denken mag, aber diese Methode erlaubt es, einem Spiel ein ebenso ungewöhnliches wie einzigartiges Gefühl zu verleihen. Außerdem bedeutet es, dass ich mich auf die Suche nach realen Orten machen muss, die von etwas heimgesucht werden und sie der Welt da draußen präsentieren kann! Vor kurzem habe ich die Ruine der Kirche von Buckfastleigh entdeckt, die ein zentraler Ort für okkulte Aktivitäten und Geisterjagden in der Gegend ist. Es ist eine abgeschiedene Kirche, die oberhalb eines meilenlangen Systems aus Höhlen errichtet wurde, von denen einige bis heute unerforscht sind. Es lohnt sich wirklich, sich das Ganze mal bei Google anzusehen.



Screenshot aus The Lost Crown

Die Kirche und ihre Geschichte waren eine Inspiration für Arthur Conan Doyle, als er den Hund von Baskerville geschrieben hat und wenn ihr den Ort besucht, werdet ihr schnell merken, warum dem so ist. Dieser Schauplatz strahlt eine Art von finsterer Atmosphäre aus, die ich nur schwer in Worte fassen kann. Aber es gibt viele Dinge an diesem Ort, die es wert sind, sie aufzusaugen und sich von ihnen inspirieren zu lassen.



Das Grab der historischen Figur Lord Richard Cabell ist so ein Beispiel. Cabell ist jemand gewesen, der so ziemlich jede Form von Teufelsanbetung und satanischen Ritualen praktiziert hat und was wirklich merkwürdig und faszinierend ist, ist der Umstand, dass sein Grab genau oberhalb einer der größeren Höhlen errichtet wurde, wo sich der Kalkstein Stück für Stück zu einer wirklich gruseligen Steinfigur transformiert. Ich kann es nicht erwarten, diesen Ort ins nächste Spiel einzubauen und einigen der Theorien nachzugehen, die sich damit beschäftigen, was an dieser Lokalität vor sich geht!

A-T: Um beim Thema Inspiration zu bleiben: Welche Filme und Bücher, egal ob aktuell oder nicht, siehst du als Einflussquelle auf dein eigenes Schreiben an?

Jonathan: Da gibt es eine Menge an Dingen in Film und TV. Ich liebe Geistergeschichten, Horrorfilme und abgründige Arten von Filmen. Romanzen und Familienfilme sind nicht wirklich mein Ding. Ich sehe mir sicherlich auch Filme an, die keine fantastischen Elemente haben, aber es ist schon so, dass ich erst so richtig gepackt werde, wenn da diese gewisse Dosis des Unerklärlichen ins Spiel kommt. Besonders mag ich Filme, die Raum für eigene Interpretation lassen, so wie etwa Blair Witch Project oder Reel 9, da ich mir hier meine individuellen Gedanken machen kann. Worauf genau sind die drei Charaktere in Blair Witch Project in den Wäldern gestoßen? Geister? Man weiß es nicht!



Der Aspekt des offenen Endes liegt mir und ich hoffe, dass es auch einige meiner Geschichten dem Spieler erlauben, sich ihre eigenen Ansichten zu bilden. Natürlich gibt es einige Leute, die es hassen, wenn ich so vorgehe und sie würden sich wünschen, dass ich alles im Detail aufblättere, da sie das Gefühl haben, ihnen fehlen Antworten. Aber das Leben ist eben oft nicht so einfach zu erklären, wie eine geradlinige Geschichte mit einem Anfang, einer Mitte und einem Schluss. Dementsprechend halte ich es für sinnvoll, den Leuten genug zum Nachdenken auf den Weg mitzugeben.



Wenn es um Geister geht, ist es so, dass ich immer diesen typischen Konflikt zwischen Himmel und Hölle vermeiden wollte, wie man ihn aus Hollywoodfilmen kennt. Es ist eine ziemlich simple Weltanschauung, die darüber hinaus auch noch eine religiöse Positionierung erfordert. Und ich bin mir wirklich nicht sicher, ob ich jemals meine religiösen Ansichten in eine fiktionale Story packen sollte, da ich sicher einige Leute automatisch ausgrenzen und beleidigen würde.



Was mir an modernen Geistergeschichten gefällt, ist, dass sie sie selten das ""Böse"" oder dämonische Kräfte für die Vorgänge innerhalb der Handlung verantwortlich machen. Ich mag wie gesagt Filme und Literatur, die Spielraum für den eigenen Glauben und eigene Interpretationen lassen, anstatt Dinge zu behaupten, die nicht zu beweisen sind.

Screenshot aus Bracken Tor

A-T: Du bist eng mit Matt Clark von den Shadow Tor Studios befreundet und warst auch in die Entwicklung von Barrow Hill involviert, während Matt im Gegenzug auch bei deinen Arbeiten ausgeholfen hat. Werden wir diese Kollaboration beim neuen Projekt von Matt, Bracken Tor, erneut sehen? Wenn du dazu in der Lage bist, gib uns doch bitte eine Idee davon, was uns bei Bracken Tor genau erwartet und inwiefern es sich von Barrow Hill unterscheidet (ohne, dass Matt sauer auf dich wird, weil du gegen seinen Willen zu viel gespoilert hast).

Jonathan: Hehe! Es ist nicht so leicht, über Bracken Tor zu reden, da es Matts „Baby“ ist. Ich kann allerdings verraten, dass es wesentlich mehr an realen Schauplätzen geben wird, von antiken keltischen Stätten bis zu weniger bekannten megalithischen Monumenten. Matt ist bei der Cornish Archaelogy Group angestellt, die altertümliche Stätten kartografiert, um sie für die Zukunft zu erhalten und Grundlagen zur Forschung zu liefern. Teil dieser Arbeit ist es, Monumente zu scannen und in 3D zu rekonstruieren. Ich kann ehrlich sagen, dass die Schauplätze von Bracken Tor einige der realsten sind, die ich bisher in einem Spiel gesehen habe. Wenn Barrow Hill Matts persönliches Myst gewesen ist, dann wird Bracken Tor sein persönliches Riven… nur eben mit jeder Menge Schnee! Die Spielwelt verströmt eine gewisse Form von Magie. Generell ist es klasse, am Projekt von jemand anderem zu arbeiten, besonders, wenn es um so etwas wie Bracken Tor geht, denn nach all der Finsternis und dem Schmutz von Lost Souls brauchte ich wirklich mal eine Abwechslung.

A-T: Wahrscheinlich ist es noch zu früh, sich mit dir im Detail über den Nachfolger zu The Lost Crown zu unterhalten. Trotzdem wären wir natürlich froh über einige grundlegende Details zur Rückkehr von Nigel und Lucy in The Last Crown: The Haunting of Hallowed Isle. Du bist bis weit in die zweite Hälfte von 2009 mit Dark Fall III beschäftigt gewesen, woraus man schließen kann, dass das Spiel noch einen weiten Weg vor sich hat. In welcher Phase des Entwicklungsprozesses befindest du dich momentan und welchen Zeitraum siehst du als realistisch an, das Spiel fertig zu stellen?

Jonathan: Ich arbeite immer noch am Screenplay von The Last Crown, habe allerdings bereits ein inhaltliches Grundgerüst, das dort ansetzt, wo der erste Teil aufgehört hat. Momentan bin ich mit dem Spieldokument beschäftigt, der erste und längste Teil der Produktion. Im Gegensatz zu Lost Souls gibt es dieses Mal sehr, sehr viele Charaktere, um die ich mich kümmern muss, also dauert das Schreiben ungleich länger. Im Gegensatz zu den Dark-Fall-Titeln, von denen jeder für sich alleine stehen kann, habe ich die Crown-Spiele immer als Serie gesehen. Die Spieler werden also einige vertraute Orte wieder sehen, mit neuen Mysterien konfrontiert und auf einige bekannte Gesichter treffen.



Einblick in die Entstehung des Vorgängers von The Last Crown

Ich versuche sämtlichen Charakteren mehr an Tiefe und Details zu verschaffen, damit sich die Spieler den Figuren möglichst vertraut fühlen. Bevor die eigentliche Produktion des Spiels beginnt, muss ich aber erst mal das Spieldokument beenden oder zumindest fast fertig haben, bevor es dann ans Eingemachte geht. Wenn ich es nicht so machen würde, könnte ich schnell meinen Weg aus den Augen verlieren, bei all den ganzen Details, Wendungen und Rätseln. Durch die ganze Konfusion und den Stress, der daraus resultieren könnte, würde das Spiel Gefahr laufen, Schaden zu nehmen. Bei meinem letzten Spiel, Lost Souls, ist es so gewesen, dass ich dank guter Vorausplanung ein wunderbar einfaches Spieldokument hatte und so war die Produktion am Ende des Tages wirklich mehr als angenehm, wenn ich es anders mache, artet alles in Chaos aus!



Eure Leser können sich dieses Dokument quasi als eine Mischung aus Screenplay und Komplettlösung vorstellen, etwa so:



Der Spieler ist nun am alten Bahnhof.

Nach rechts drehen. Auf den alten Fahrscheinautomaten klicken.

Nimm: Alten Griff

Gegenstand erhalten: Alter Griff

Nach vorne gehen. Auf die Tür klicken.

Filmsequenz: Langsames Heranzoomen an das Türschloss, Klickgeräusche sind zu hören.

Tür verlassen. Zur Telefonzelle gehen.

Rätsel: Telefonnummer anrufen, die sich aus den Papierfetzen im Inventar ergibt.



Ich gebe mir wirklich Mühe, das Dokument von Anfang an so gut wie möglich hinzubekommen, aber natürlich ergeben sich trotzdem immer wieder mal Änderungen, zum Beispiel aus finanziellen oder zeitlichen Gründen, oder weil mir eine bessere Idee in den Sinn gekommen ist. Dieses Dokument ist also nicht final, aber eine große Hilfe, um sämtliche Dinge im Überblick zu behalten.

A-T: Was kannst du uns über die Rahmenhandlung und Gameplay-Features verraten, die du ins Spiel implementieren willst?

Jonathan: Ich kann sagen, dass die Fortsetzung von The Lost Crown stärkere Ähnlichkeiten zu einem Rollenspiel aufweisen wird, als es zu einem klassisch-linearen Adventure. Die Aufgaben der Spieler werden Questbasiert sein und die Charaktere können aufgelevelt werden, um Situationen mit verschiedenen Ansätzen in Angriff zu nehmen. Die Mitglieder der örtlichen Bevölkerung werden Teil von verschiedenen Fraktionen sein, quasi diverse Gilden, wenn man so will, aber eben in einem sehr englischen Stil! Zum Beispiel wird es Satanisten, Vogelbeobachter oder Ufologen geben. Du wirst diesen Gruppen beitreten müssen, um sie zu infiltrieren, spezifische Quests zu absolvieren und das Vertrauen der jeweiligen Gruppierung zu erlangen. Ich denke, dass dieser Aspekt der Welt von Saxton ein wunderbares Gefühl von Komplexität und Realismus verleihen wird.



Nigel Danvers in

Was die Hauptcharaktere angeht, wird man dieses Mal in die Rolle von Nigel als auch von Lucy schlüpfen, die ihre Aufgaben auf sehr verschiedene Arten lösen. Es ist vielleicht nicht so offensichtlich, wie du denken magst, aber Nigel ist eher der ruhigere Typ, der eine sehr logische Art hat, an Rätsel heranzugehen, während Lucy eine sehr dickköpfige bis gewalttätige (!!) Ader besitzt, mit der sie sich mit ihren Aufgaben auseinandersetzt und eher einen actionorientierten Charakter darstellt. Ich habe selbst einige, ebenfalls sehr unabhängige, ältere Schwestern, womit diese Figur also sicherlich stark auf persönlichen Erfahrungen beruht.



A-T: The Lost Crown hat den Spielern „auf der Suche nach Wahrheiten“ sehr viel an persönlichem Interpretationsspielraum gelassen. Offensichtlich wirst du in The Last Crown nicht die Antworten auf all die Fragen geben, die sich die Spieler im Bezug auf den Inhalt des Vorgängers gestellt haben, gleichwohl ist davon auszugehen, dass es zumindest einige Enthüllungen geben wird, die offene Fragen aus The Lost Crown aufgreifen. Wie du weißt, gab es in internationalen Foren etliche Diskussionen und Interpretationsansätze rund um das Spiel und du hast dich sicherlich auch mit ihnen auseinandergesetzt. Siehst du eine gewisse Gefahr, dass manche Spieler sehr enttäuscht auf The Last Crown reagieren könnten, weil du ihre persönliche Interpretation des ersten Teils „zerstörst“?

Jonathan: Viele Spieler haben mir Mails geschickt, um mir zu sagen, wie viel Spaß sie mit The Lost Crown hatten und haben mir ihre Interpretationen mitgeteilt, die sich oftmals sehr stark voneinander unterschieden haben, was mir sehr gut gefällt. Es deckt sich mit dem, was ich vorher sagte, im Bezug auf den geistigen Raum, der den Spielern gelassen werden sollte, damit sie ihre eigenen Ansichten entwickeln können. Ich muss schon vorsichtig damit sein, gewisse Dinge nicht zu verraten, da einige sehr enttäuscht sein könnten, wenn sie mit etwas komplett anderem konfrontiert werden, als sie es sich in ihrem eigenen Geist ausgemalt haben. Aber ehrlich gesagt sieht es schlussendlich natürlich so aus, dass ich derjenige bin, der sich die Story ausdenkt und sie umsetzt, ohne mich dabei von populären Theorien führen zu lassen.



Screenshot aus The Lost Crown

Im ersten Teil habe ich übrigens eine Reihe von Hinweisen eingebaut und es wird interessant, die Leute sagen zu hören: „OK, jetzt verstehe ich.“ Diese Serie verfügt über ungewöhnliche Storys, mit einer noch ungewöhnlicheren Präsentation und es macht mir wirklich Spaß, diese Spiele zu entwickeln. Es scheint so, als hätten die Spieler ebenfalls ihren Spaß, also drückt mir die Daumen, dass ich eine Fortsetzung erschaffe, die ebenso gut ankommen wird, wenn nicht sogar noch besser!



Als Indie-Entwickler habe ich die Freiheit, bei der Spielentwicklung etwas experimenteller zu Werke zu gehen, da mir niemand im Nacken sitzt, der von mir erwartet, ein Spiel zu entwickeln, das explizit auf den Massenmarkt ausgelegt ist. Ich würde mich freuen, irgendwann auch mal so etwas zu tun, aber die Crown-Serie ist für mich eine sehr persönliche Angelegenheit.



Diese kreative Freiheit bedeutet für mich, dass ich im Bezug auf das Storytelling ungewöhnlichere Pfade einschlagen kann und die Möglichkeit habe, Szenarien zu erschaffen, die vom Spieler ein gewisses Maß an Vorstellungskraft und Hingabe erfordern. Vielleicht liegt es auch daran, dass The Lost Crown so vielen Leuten gefallen hat. Das Gefühl, dass sie sich selbst wirklich in das Spiel hineinarbeiten mussten und persönlich etwas investieren mussten? Bei mir es ist generell so, dass ich Adventures mag, die dem Spieler etwas mehr an mentaler Herausforderung abverlangen als ein typisches Wimmelbildspiel oder Nancy Drew.



Ich mag diese Spiele durchaus, da es Spaß macht, sie mit anderen zusammen zu spielen und um etwas zu entspannen, aber ich mag es ebenso, mir über etwas wirklich Gedanken machen zu müssen und auch mal Entscheidungen zu treffen, die nicht unbedingt direkt nahe liegend sind. Ein gutes Beispiel für ein etwas „seltsames“ Adventure ist für mich Outcry. Leider habe ich es nicht geschafft, das Spiel ohne Komplettlösung durchzuspielen (was mir unmöglich erschien), aber die ungewöhnliche Grafik und Präsentation finde ich wirklich großartig. The Path ist ein weiteres gutes Beispiel für ein „alternatives Spielerlebnis“. Dieses Spiel scheint mir weit mehr in der Psyche von jemandem stattzufinden, als an einem konkreten Ort oder der konkreten Erinnerung einer Person. So ähnlich habe ich auch Drawn: Der Turm wahrgenommen, was mir übrigens sehr gefallen hat. Es mag ein sehr kommerzielles Spiel sein, gleichzeitig sind da aber auch diese sehr künstlerischen, surrealen und einzigartigen Elemente.



Screenshot aus Drawn: Der Turm

Im Bezug auf The Last Crown würde ich es mal so sagen, dass man sich darauf einstellen kann, das Unerwartete zu erwarten. Als Fan von untypischen Erzählstrukturen und surrealen Elementen will ich die Crown-Spiele auch in Zukunft eher ungewöhnlich als kommerziell halten.

A-T: Deine beiden Serien enthalten diverse Referenzen zueinander, zum Beispiel die Figur Nigel Danvers. Besteht vielleicht eine tiefere Verbindung zwischen Dark Fall und der Crown-Serie als man denken mag und sie sind beide Teil eines größeren Gesamtbildes?

Jonathan: Die Verbindung ist lediglich die, dass beide in derselben Welt angesiedelt sind. Nigel Danvers kam damals bereits in Dark Fall: The Journal vor. Er hat seinerzeit im alten Hotel eine paranormale Ermittlung durchgeführt, bei der ihn die Geisterjägerin Polly White unterstützt hat, die im zweiten Teil von Dark Fall, der in einem gruseligen, alten Leuchtturm spielt, zurückgekehrt ist. Es sind dieselben Charaktere und der Nigel aus Dark Fall ist auch der Nigel, der in The Lost Crown zu sehen ist… allerdings hat sein Leben nach dem ersten Teil von Dark Fall einen anderen Pfad eingeschlagen.



Tatsächlich haben Polly und Nigel in Dark Fall: The Journal keinerlei Geister im Hotel zu Gesicht bekommen, da der Spieler die übernatürlichen Vorkommnisse erfolgreich beendet hat. Aber scheinbar passt die Geisterjagd zu Nigel und Polly, da die beiden ihre Abenteuer in weiteren Spielen fortgesetzt haben. Polly scheint mittlerweile von der eher draufgängerischen Lucy Reubans ersetzt worden zu sein, aber das heißt nicht, dass nicht auch Polly als rivalisierende Geisterjägerin wieder auftauchen könnte. Für manche wirkt es vielleicht merkwürdig, wenn ich diese vertrauten Elemente immer wieder benutze, aber ich fühle einfach eine sehr enge Verbindung zu meinen Charakteren und plötzlich tauchen sie dann in meinen Gedanken auf und „verlangen“, in meiner neuesten Story mit an Bord zu sein.



Ursprünglich sollte in The Lost Crown ein Kerl namens Kai Hunter vorkommen. Der Name schien mir sehr passend und heroisch für ein Spiel, zumindest zum damaligen Zeitpunkt, aber sobald Nigel in meinem Kopf auftauchte, verschwand Kai Hunter. Nigel Danvers ist sicher nicht gerade ein geborener Held und er macht einen sehr gewöhnlichen Eindruck, aber er hat seine verborgenen Tiefen und so bin ich Kai Hunter samt seinem komischen Namen dann sehr schnell wieder losgeworden! Auf viele Arten könnte ich sagen, dass diese fiktiven Figuren von meinen Storys quasi Besitz ergreifen und ich lediglich der Übermittler ihrer Geschichten bin. Letztlich ist das aber sicher nicht der Fall und stattdessen ist es einfach so, dass ich es mag, einige Elemente wieder, wieder und wieder zu verwenden, um zu sehen, wohin das Schicksal die Protagonisten verschlägt. Im Bezug auf Nigel konnte man sein Schicksal übrigens bereits in der ersten Szene von The Lost Crown sehen, aber näher werde ich jetzt nicht darauf eingehen, damit ihr es selbst herausfinden könnt!



A-T: Kannst du uns zum Abschluss des Interviews etwas darüber verraten, wie es mit Darkling Room weitergehen wird, wenn die Entwicklung von The Last Crown abgeschlossen ist?

Jonathan: Ich denke, ich sollte mich für den Moment etwas bedeckt halten, was die zukünftigen Planungen von Darkling Room angeht. Auf jeden Fall habe ich ein sehr arbeitsreiches Jahr vor mir und die Leute können sich auf The Last Crown und Bracken Tor freuen. Allerdings kann ich verraten, dass das nächste Spiel bereits in Planung ist und es weder ein Sequel, ein Prequel oder etwas der Art sein wird. Für dieses Projekt werde ich ein größeres Team brauchen, darunter Leute für die Animationen, die Texturen und Schauspieler… es wird eine wirklich spannende Sache! Da ich nie an einem „großen“ Spiel gearbeitet habe, wird das nächste Projekt also eine Premiere für mich werden. Wünscht mir Glück, ich hoffe, dass ihr alle viel Spaß an meinen nächsten Spielen haben werdet!

A-T: Vielen Dank für deine ausführlichen Antworten, Jonathan und viel Erfolg bei der Entwicklung von The Last Crown: The Hallowed Isle und deinen weiteren Projekten!