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gamescom - von Convention zu Commercial (QuerSchläger)
Vom: 22.07.2012
Wenn ich an die letzten beiden Games Conventions in Leipzig denke, wird mir warm ums Herz. Damals waren die weitläufigen und offenen Messehallen geprägt von Aufbruchstimmung und ausgelassenem Optimismus. dtp brachte Jane Jensen, Noah Falstein und Hal Barwood nach Deutschland. Daedalic startete als reiner Adventure-Publisher und –Entwickler seine Karriere. Das Café Rötha war wie immer ein gastronomischer Höhepunkt. Tim Schafer hielt auf der Entwicklerkonferenz eine geniale Keynote – und wir waren mittendrin mit einer mickrigen Kamera unterwegs und interviewten die Games-Branche.



Das mehrstündige Ergebnis in Handyfilm-Niveau war so dilettantisch und gleichzeitig so anarchisch-komisch, dass die Videos nicht nur auf dem Treff sondern später sogar bei einem großen Online-Händler als DVD verfügbar waren. Die ersten Gehversuche waren anstrengend und spaßig zugleich und sie zählen für mich immer noch zur besten Video-Coverage, dass der Treff jemals von einer Messe gemacht hat. Es war ein Zeugnis, dass es bei der Games Convention nicht um reine Professionalität und Politik ging – es ging darum, spannende Leute in ausgelassener Atmosphäre zu treffen und sich und seine Ideen auszutauschen. Es ging darum, gemeinsam die Games nach vorne zu bringen. Auf dem Messegelände, in der Innenstadt, im Barfußgäßchen. Es ist ein immer noch viel zitiertes Klischee, dass ganz Leipzig die Messe lebte. Ein Klischee, das wahrer nicht sein könnte.



Als dann die Messe unter Druck des BIU nach Köln „umzog“ verlor sie nicht nur den Games-Standort Leipzig. Sie verlor auch das Wort „Convention“. Ersetzt wurde es mit „com“. Die koelnmesse sprach von „com“ für „community“. Gängiger ist die Abkürzung wohl eher als „.com“ für „commercial“.



„Irgendetwas hat die Messe verloren“, sagte uns Adventure-Autor Steve Ince in einem Gespräch auf der ersten gamescom im Jahr 2009 in Köln. „Sie ist irgendwie kälter geworden.“ Ich habe die Messen aus praktisch jeder Perspektive erlebt. Einmal als reiner Privatbesucher, zweimal als Publisher, zweimal als Entwickler und, ja, sogar einmal als eine Art männliche Messehostess (hust). Und jedes Jahr war ich immer auch noch als Redakteur für Adventure-Treff.de mit von der Partie. Dabei bleibt mir der Vergleich als Publisher am stärksten in Erinnerung, habe ich hier doch den Prozess der letzten Games Convention und der ersten gamescom von Aufbau bis Abbau miterlebt.



Die Ankunft in Köln war für mich relativ schockierend. Aufbau noch nicht fertig? Egal! Wir sperren hier um acht zu. Strom nicht bezahlt? Tja, Pech gehabt. Dann ist dein Licht aus. Sie wollen mit einem Character durch die Hallen ziehen? Das wird aber teuer! Sicher, die Messeleitung hat durchaus auch gute Leistungen erbracht. Die Betreuung der Journalisten war beispielsweise vorbildlich, wenn nicht sogar besser als in Leipzig. Aber eines waren wir in Köln eben irgendwie nicht: willkommen.



Zumindest nicht im Vergleich zu Leipzig, wo die Mitarbeiter uns sogar beim Aufbau der Messe geholfen hatten. Kein Zweifel: Die ersten gamescoms waren durchaus ein Erfolg. Die Besucherzahlen waren enorm, die Press-Coverage gut und natürlich war die Anbindung für einige internationale Gäste leichter. Nichtsdestotrotz hat die Messe über die letzten Jahre zunehmend an etwas verloren: An der positiven Stimmung.



Dafür mache ich jetzt gar nicht die Messeveranstalter verantwortlich. Bei ihnen merkt man eigentlich nur, dass sie im Großen und Ganzen halt nicht so wirklich Ahnung von Spielekultur haben. Wo Leipzig ein klassisches Konzert mit Spielemusik organisierte, ließ Köln bereits im ersten Jahr die Toten Hosen auftreten. Von der Krake als Logomaskottchen ganz zu schweigen. In Köln sollten Party, Lärm und leidlich gut organiserte Cosplay-Events über das Fehlen spielkulturellen Verständnisses hinwegtäuschen. Der völlig uninspirierte Claim der Messe „Celebrate the Games“ spricht Bände. Dass die Messeleitung es nach drei Jahren aber nicht geschafft hat, zumindest ansatzweise einen kulturellen Aspekt der Computerspiele zu verinnerlichen und nach außen zu transportieren, ist ihr ganz allein zuzuschreiben. Möglicherweise befinden sich einfach zu wenig Zocker in den eigenen Reihen oder sie haben sich einfach zu lange auf der aus Leipzig mühevoll aufgebauten Arbeit ausgeruht und hielten die Veranstaltung für einen Selbstläufer. Die Absagen von Größen wie Microsoft oder Nintendo sind Zeichen dieser Entwicklung. Wer wirklich glaubt, diese Dinosaurier sind tatsächlich nur nicht dabei, weil sie nichts zu zeigen haben (oder die gamescom nicht in ihre „PR-Zeitplanung“ passt), der verkennt völlig das Messegeschäft.



Nein, die Branche besucht die Messe nicht mehr, weil sie zu beliebig geworden ist. Nur wenn die gamescom einen kulturell so hohen Stellenwert hat, dass es DIE Games-Messe ist, dass es sich kein Anbieter leisten kann, dort zu fehlen, wenn die PR-Planung sich an der Messe ausrichtet und nicht umgekehrt – nur dann ist eine Messe überlebensfähig. Die gamescom hat sich zu einem „com-mercial spot“ entwickelt. Einem überteuerten Verkaufspflaster für Anbieter – in das sie sich einbuchen können oder eben nicht. Der gamescom fehlt eines: Das gemeinschaftliche Ziehen an einem Strang. Das Beisammensein. Die Convention.



Nochmal: Die Messeleitung kann es vermutlich nicht besser. Damit habe ich mich schon angefreundet. Was mich an dem Aspekt der schlechten Stimmung mehr stört sind aus journalistischer Sicht tatsächlich mittlerweile auch die Aussteller selbst. Mir ist auch klar, dass durch die krisengeschüttelten Jahre die Lockerheit einiger Publisher gelitten hat. Auch verstehe ich, dass zum Beispiel die hohen Standmieten, die unorganisierte Gastronomie oder die erdrückende Business-Halle auf das eigene Wohlbefinden drückt. Aber ich sag’s ganz offen: Auch ihr tragt einen Teil dazu bei, dass es mir immer weniger Spaß macht, von der Messe über Euch zu berichten.



Auf meiner Festplatte schlummern noch mehrere Stunden Film- und Tonmaterial Eurer Produkte der gamescom 2011. Interviews, Präsentationen, Blödeleien. Diesmal sogar in HD-Qualität. Ich habe am Ende fast nichts davon veröffentlicht. Tatsächlich ist unsere gamescom-Coverage von 2011 trotz großem Team und professionellem Equipment ein ziemlich Deasaster gewesen. Warum?



Nun, einige aufmerksame Leser haben mitbekommen, dass ein paar Videoausschnitte kurzzeitig sogar tatsächlich mal online waren – und dann wieder verschwinden mussten. Es ist normal, dass man als Redakteur irgendwo auch mit dem PR-Verantwortlichen der Publisher und Entwickler kooperiert. Es gehört zum guten Ton, dass man sich an Veröffentlichungstermine hält und Informationen unter vorgehaltener Hand nicht herausposaunt. Es gehört aber auch zum guten Ton, dass Journalisten ihrer unabhängigen Berichterstattung nachgehen können.



Im letzten Jahr war für mich hier das Maß voll. Da fragt man die eine Person, ob man Videoaufnahmen machen dürfe und erhält ein enthusiastisches „Ja, klar!“, nur um dann am Abend von seinem Partner einen bitterbösen Anschiss via Telefon zu erhalten, dass das ja gar nicht ausgemacht sei. Da drückt uns der Entwickler Screenshots in die Hand, die wir ein paar Stunden später wieder vom Netz nehmen müssen. Der nächste wiederum regt sich auf, dass auf einem Video im Hintergrund ein Poster eines noch nicht veröffentlichten Produktes zu sehen ist. Die Liste war 2011 schier endlos. Am meisten stört mich dabei die beleidigte Art so mancher Mitarbeiter. Ein rügendes (und meist schlicht unwahres) "das war aber nicht abgemacht" ist da praktisch an der Tagesordnung. Am liebsten sind mir dann noch die SMS-Nachrichten, in denen mir mitgeteilt wird, dass man mir jetzt aber auch „nicht böse“ ist, dass ich es veröffentlicht habe.



Geht’s noch? Früher habt ihr Euch darum gerissen, eine Videocoverage von Adventure-Treff zu kriegen. Heute muss ich selbst nach einer Einverständniserklärung damit rechnen, dass ich das Video wieder vom Netz nehmen muss. Es ist nicht meine Aufgabe, die „Public-Relations-Richtlinien“ sauber zu kommunizieren. Es ist Eure und erzählt mir hier nichts anderes, denn ich bin in der Branche auch tätig (und ja, auch im Bereich PR). Ich sitze bis spät in den frühen Morgen und mit kaum Schlaf in meinem Hotelzimmer, ärgere mich nach einer schweißtreibenden, anstrengenden Messe mit Videoschnitt, Videoformaten und einer ständig zusammenbrechenden UMTS-Verbindung herum, um unseren Lesern Eure Produkte zu präsentieren. Am Ende ist alles umsonst. Das ist nicht nur Zensur, Einschnitt in die journalistische Berichterstattung und schlechte Pressearbeit – es ist auch schrecklich frustrierend.



Glaubt ihr im Ernst, ihr kriegt eine bessere Berichterstattung, wenn ihr jeden einzelnen Bildausschnitt verbietet, aus Angst, er könnte falsch interpretiert werden? Glaubt ihr im Ernst, ein Beta-Screen richtet so viel Schaden an, dass keine Video-Berichterstattung besser ist als eine kontrollierte? Kommt schon! Nehmt Eure Nutzer ernst! Glaubt nicht, dass die nicht verstehen, was es bedeutet, wenn der Publisher seinen Schwanz einzieht. Fast erleichtert war ich hier über die Anspielung eines großen polnischen Publishers, der an seinem Stand ein großes Plakat aufhing mit den Worten „Cameras allowed“. Und ein Zwinkersmiley. Das Problem ist bekannt.



Tut mir Leid, aber unter den Voraussetzungen erhaltet ihr von mir kein Video mehr. Es macht ja so auch einfach keinen Sinn. Das ist nicht nur schade für die Messe, die früher ein offenes, entspanntes und freundschaftliches Beisammensein war. Auf der Convention haben wir gemeinsam diskutiert, ihr habt Euch Feedback eingeholt, habt gemeinsam mit dem Publikum Eure Spiele verbessert. Alle haben verstanden, was das ist. Es war eine Kollaboration, eine Zusammenarbeit aus Entwicklern, Publishern, Besuchern und Journalisten. Es war auch das Grundkonzept der Messe Leipzig.



Schon einmal überlegt, warum Kickstarter derzeit so große Erfolge bei Computerspielen hinlegt? Es ist genau dieser Grund.



Es ist nicht nur schade für die Messe. Es ist auch schade für unsere Leser, die von der gamescom einfach auch weniger erhalten als früher. In Köln habt ihr Euch von politischer Kleinkrämerei, Klüngelei, Machtspielchen und einem generellen Gefühl der Ohnmacht und Panik einfangen lassen. Alles geht durch einen Filter. Seien es die Pressenachrichten der Messe selbst oder die Pressearbeit der Aussteller. Es ist mehr eine Show als eine Messe. Hauptsache mehr Besucher. Hauptsache gut nach außen aussehen. Hauptsache wir versagen nicht gegenüber Leipzig. Es ist eine Games-Shopping-Mall, eingeengt in riesigen Betonbauten in einer der hässlichsten Ecken Kölns. Darüber kann auch das letzte Quäntchen open innovation auf der GDCEurope nicht hinwegtäuschen.



Vielleicht sehe ich das aber auch alles nur falsch. Vielleicht bin ich einfach alt oder zu sarkastisch geworden. Oder die Games-Branche zu „professionell“, zu „politisch“. Vielleicht geht mir ein Aspekt ab, den es ganz generell schon lange nicht mehr gibt. Aber bei einer Ansicht bleibe ich: Wenn sich die Messe nicht ändert –und mit ihr die Herangehensweise der Aussteller– dann sehe ich da nicht mehr viele Chancen – und zwar für Besucher wie für Aussteller und Journalisten. Ich habe jedes Jahr weniger Lust auf den falschen Narrenkappen-Zirkus. Die einzige Triebfeder, die mich noch nach Köln treibt ist das Zusammentreffen mit Freunden, der Redaktion und unserer Community – die letzten Ausläufer einer freundlichen Convention eben, die es früher einmal gab.