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Test

von  Topsy-Sophia Schmitt
21.05.2019
Guard Duty
Getestet auf Windows, Sprache Englisch
85%

Mit Guard Duty wurde im Rahmen der Kickstarter-Kampagne aus dem Jahr 2017 ein witziges Comicadventure im Stil der großen Klassiker beworben. So nannte der britische Entwickler Sick Chicken Studios besonders Discworld und Monkey Island als Quelle der Inspiration, versprach Freunden des Genres aber zugleich eine unverbrauchte Hintergrundgeschichte. Die frühen Einblicke ins Spielgeschehen riefen Bewunderung hervor und so fanden sich zahlreiche Unterstützer, welche dem Projekt die gewünschte Summe einbrachten. Manche Etappenziele blieben jedoch unerreicht. So wurden letztlich keine alternativen Endsequenzen realisiert und die Finanzierung deutscher Bildschirmtexte schlug ebenfalls fehl. Seit Anfang des Monats ist der ambitionierte Titel bei Steam erhältlich, ferner ist eine DRM-freie Veröffentlichung geplant. In unserem Test berichten wir euch, ob uns die Sick Chicken Studios ein packendes Spielvergnügen bescherten und uns darüber hinaus zum Gackern einluden.

Der tapferste... äh... mächtigste Mann des Königreiches

Tondbert, des Königs treueste Seele

Das beschauliche Königreich von Wrinkelwood scheint längst in einen tiefen Schlummer versunken, als zu später Stunde eine schemenhafte Gestalt vor dessen Toren erscheint und einige Worte mit dem betrunkenen Nachtwächter Tondbert wechselt. Dieser schwärmt derweil von der liebreizenden, doch ebenso unerreichbaren Prinzessin Theremin. Am frühen Morgen kann Tondbert, nunmehr von heftigen Kopfschmerzen geplagt, die vergangenen Ereignisse kaum näher rekonstruieren. Bald wird ihm zudem die tragische Nachricht von Theremins plötzlichem Verschwinden zuteil. Gerüchte besagen, ein Eindringling habe sie geraubt. Wie konnte dies bloß geschehen?
Aber Tondbert wäre kein ergebener Bediensteter seiner Majestät, wenn er die Rettung der blonden Maid vier fettleibigen Rittern im Greisenalter überlassen würde. Außerdem ist ihm sehr viel an der hübschen Königstochter gelegen. Also zeigt sich der häufig belächelte Wachmann von seiner mutigsten Seite und bricht auf, um die arme Theremin aus den Fängen des Bösen zu befreien.

Agent Starborn möchte endgültig mit dem Shoggoroth abrechnen

Agent Starborn, Kämpfer für eine bessere Welt

Wir schreiben das Jahr 2074. Die Welt ist aus den Fugen geraten. Eine kleine Gruppe von Untergrundkämpfern lehnt sich gegen die Herrschaft des Shoggoroth auf, der inzwischen unbändige Macht besitzt und den Menschen nur Leid und Verderben brachte. In den Chroniken eines gewissen Tondbert steht geschrieben, wie jene dämonische Kreatur einst entfesselt wurde. Die Rebellen wissen diese Information zu ihrem Vorteil zu gebrauchen und schmieden einen riskanten Plan. Agent Starborn, der zweite Held unserer Geschichte, scheut jedoch keine Gefahren und wagt sich in die Höhle des Löwen vor. Sein innigster Wunsch besteht darin, das Böse endlich scheitern und das Gute wieder triumphieren zu sehen.

Ein einschneidendes Ereignis

Zwischen zwei Epochen

So reißt die Geschichte den Spieler nach einer Weile aus dem Gefüge eines mittelalterlichen Märchenlandes und setzt ihn der Misere jener dystopischen Zukunft aus. Diesem Epochenwechsel, der erst nach dem zweiten von drei Akten erfolgt, gehen eine überraschende Wendung sowie eine brillant inszenierte Zwischensequenz voraus.
Die meiste Zeit verbringt der Spieler allerdings in der Nähe von Tondbert. Im Vergleich zu Simon The Sorcerer, um ein klassisches Vorbild zu nennen, verhält sich der tollpatschige Stadtwächter eher unterwürfig und behandelt sein Gegenüber stets mit Respekt. Dennoch gelangt er regelmäßig in peinliche wie irrwitzige Situationen, teils auch durch nächtliche Trunkenheit bedingt. Die Lachmuskeln werden dabei mitnichten verschont. Wenn Starborn 1000 Jahre später in die finstere Festung des Shoggoroth eindringt, weicht die ursprüngliche Heiterkeit umso mehr einer unheimlichen wie beklemmenden Stimmung.

Tondberts Inventar beinhaltet auch eine benutzerfreundliche To-Do-Liste

Klassische Rätselkost und Multiple-Choice-Dialoge

Das Verständnis der Steuerung stellt gewiss keine zusätzliche Hürde dar. Mit einem Rechtsklick können textlich hervorgehobene Hotspots betrachtet werden, die linke Maustaste dient der Interaktion. In einem Säckchen, das sich am oberen rechten Bildschirmrand verbirgt, verstaut Tondbert seine gesammelten Schätze. Diese kann der Spieler wiederum in einer separaten Inventaransicht auswählen und mit Gegenständen oder Lebewesen im Szenenbild benutzen. Es ist aber nicht möglich, diese Fundstücke untereinander zu kombinieren, was den Schwierigkeitsgrad von vorneherein entschärft. Die Lektüre einer Schriftrolle, die Tondbert immerzu bei sich trägt, ruft dem Spieler aktuell zu erledigende Aufgaben ins Gedächtnis. An jenem ereignisreichen Tage nämlich ist dem Helden unserer Geschichte keine Rast vergönnt. So kommt es etwa zu einer unverhofften Kollision mit einem Bienenvolk. Nach diesem Akt der Selbstzerstörung ist die Artikulationsfähigkeit des Protagonisten erheblich beeinträchtigt, sodass der Erwerb einer heilsamen Wurzel erforderlich ist. Später muss Tondbert detektivisches Gespür beweisen und die Bürger von Wrinkelwood nach dem Verbleib der Prinzessin befragen. Generell treiben Dialoge mit Nebenfiguren als zentrales Gameplay-Element den Spielfluss voran. Die Gesprächsführung erfolgt im traditionellen Multiple-Choice-Verfahren, wobei keine Symbole oder Stichwörter, sondern stets ausformulierte Sätze vorgegeben sind. Im Verlauf des Abenteuers gilt es meist, klassische Kombinationsrätsel zu absolvieren. Diese sind überwiegend schnell gemeistert, was einerseits den selten kniffligen Aufgaben und andererseits dem äußerst linearen Aufbau geschuldet ist. So kann Tondbert innerhalb eines Spielabschnitts bloß wenige Schauplätze zugleich besuchen, welche teils über eine Orientierungskarte miteinander verbunden und zugänglich sind. Lange Laufwege müssen also nicht befürchtet werden.

Auf Wunsch fasst Starborns Vorgesetzte auch abermals das historische Geschehen zusammen

Rebellen arbeiten im Team

In ferner Zukunft gelten aber mitnichten dieselben Regeln, wie sich im dritten Kapitel zeigen wird. Starborn nimmt den Spieler quasi an die Hand, indem er gesammelte Gegenstände in Eigenregie auf das jeweilige Objekt anwendet. Außerdem besitzt der Rebell ein hochentwickeltes Kommunikationsgerät, welches ihn jederzeit mit dem Hauptquartier verbindet. Somit ist Starborn niemals auf sich alleine gestellt, denn seine treuen Gefährten versorgen ihn gerne mit nützlichen Informationen, die sich zur Überwindung bestimmter Hindernisse eignen. Eine solche Zusammenarbeit ist daher unentbehrlich, um beispielsweise einen Wachroboter auszuschalten oder einer Gefängniszelle zu entrinnen.
Nach einer Spieldauer von 5-6 Stunden ist dann bereits das Ende erreicht.

Tondbert auf den Spuren von Simon The Sorcerer

Idyllische Märchenwälder und düstere Cyberpunk-Szenen

Diverse Anekdoten an das erste Point-and-Click-Adventure aus dem Scheibenwelt-Universum bleiben dem Kenner nicht verborgen. Dies beginnt schon mit der ersten spielbaren Szene. Ebenso wie Zauberer Rincewind anno 1995 wird Tondbert zunächst unsanft dem Schlafe entrissen und zu seinem Vorgesetzten beordert. Außerdem mutet Wrinkelwood nahezu wie ein Ankh-Morpork im Miniaturformat an. In der örtlichen Taverne kann wiederum der Hund Walt gesichtet werden, welcher einigen noch als bestechlicher Gefängniswärter aus Monkey Island 2 bekannt sein dürfte. Dass Guard Duty von den Klassikern des Genres inspiriert wurde, offenbart sich dem Spieler aber in vielerlei Hinsicht. So versprühen die unberührten Naturschauplätze eine altvertraute Simon The Sorcerer-Romantik: Ein grüner Goblin sitzt seelenruhig auf einem Pilz und angelt, während farbenfrohe Schmetterlinge um das munter plätschernde Bächlein flattern. Woanders bläst der Wind durch das Geäst der Bäume. Die Geräuschkulisse fügt sich ganz wunderbar in diese lebhafte Idylle ein, denn jede Regung ist mit passenden Klängen untermalt.
Wer die Comicadventures der 90er Jahre verehrt, wird die Grafik von Guard Duty sicher mögen, ist diese doch irgendwo zwischen Simon The Sorcerer und Discworld angesiedelt. Die handgefertigten Szenenbilder begeistern mit eigenem Charme und hohem Detailreichtum. Dies betrifft nicht bloß die mittelalterliche Umgebung, sondern auch das düstere Cyberpunk-Design aus Starborns Epoche. Die Figuren wirken eher natürlich, zwar häufig drollig, aber nicht zu sehr überzeichnet.

Sollte die Prinzessin nicht eher auf dem Theremin spielen?

Kompositionen in Hülle und Fülle

Der facettenreiche Soundtrack trägt in höchstem Maße zu einem unvergesslichen Spielerlebnis bei. Jedes der insgesamt 37 Musikstücke wurde eigens für die jeweilige Situation komponiert und schafft es somit, die passende Stimmung zu vermitteln. Bereits das Titellied entfacht eine geradezu magische Wirkung, packt den Spieler mit berührenden Pianoklängen und entführt ihn schon in eine Zeit fantastischer sowie tragischer Ereignisse, bevor er in das eigentliche Handlungsgeschehen einzusteigen vermag. Die Ära Wrinkelwood wartet mit mittelalterlichen, heroischen, verträumten und unheilvollen Melodien auf, die an Vielfalt kaum zu überbieten sind. Agent Starborns Mission hingegen wird von fulminanter, doch stilsicherer Elektromusik begleitet, welche die futuristische Atmosphäre ideal unterstreicht.
So ist den Entwicklern eine herausragende Präsentation gelungen, die auch eine adäquate Synchronisation einschließt. Die englischen Sprecher verkörpern ihre Rollen äußerst authentisch, wobei besonders die Hauptfiguren mit sympathischen wie markanten Stimmen gesegnet sind.

Kann Tondbert Prinzessin Theremin retten?

Fazit: Sei wie Tondbert!

Mit ausgeprägtem Sinn für Humor und dramaturgischem Gespür erzählen die Entwickler innerhalb weniger Stunden eine fesselnde, kurzweilige Geschichte, die Science Fiction und Mittelalter-Fantasy gekonnt miteinander in Einklang bringt. Guard Duty berührt und verzaubert den Spieler mit liebevollen Zeichnungen, einem unverwechselbaren Soundtrack sowie einer filmreifen Inszenierung. Damit sind auch die kleineren Schwächen rasch ausgeglichen. Im Fokus des Geschehens steht letztlich jedoch der tollpatschige, aber warmherzige und immerzu verlässliche Tondbert – ein Protagonist, der das Gute im Menschen verkörpert und letztlich als Vorbild späterer Generationen fungiert.

Galerie

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Manch einer mag die eher geringe Spieldauer von Guard Duty bemängeln, da er sich angesichts des komplexen Themas mehr Umfang erhofft hatte. In meinen Augen zeigt sich aber gerade in seinem zeitlichen Rahmen eine essentielle Stärke des Titels: Innerhalb von etwa sechs Stunden nämlich wird mit dramaturgischer Wucht eine äußerst kreative und berührende Geschichte erzählt, die in sich stimmig ist und mitnichten überhastet wirkt. So zog mich das Spiel rasch in seinen Bann und fesselte mich bis zum Ende, wozu nicht zuletzt auch die imposante Präsentation beiträgt.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • zwei Zeitepochen
  • fesselnde, teils düstere Geschichte
  • schöne, nostalgische Grafik
  • großartiger Soundtrack
  • schräger Humor
  • klassisches Rätseldesign…
  • ... das jedoch bloß einen leichten bis mittleren Schwierigkeitsgrad erreicht
  • sehr linearer Ablauf