Die Krankheit grassiert
Nach der ruhmreichen Rückkehr aus dem Wolfsgebirge stellten wir im Mutterbaum bestürzt fest, dass sich die Krankheit des Waldes während unserer Abwesenheit weiter ausgebreitet und an Tempo sogar noch zugenommen hatte. In Person Toves hatten wir zudem bereits einen Eindruck davon gewonnen, was der Nattamar-Parasit auszurichten imstande ist.
Gab es vielleicht einen Zusammenhang zwischen diesen beiden rätselhaften Phänomenen?
Ausgestattet mit dem Auftrag Jötunúlfurs, auch ihre beiden Geschwister zu finden, um gemeinsam das rettende Portal öffnen zu können, besannen wir uns auf zwei noch nicht gänzlich erforschte Gebiete.
Da uns zumindest noch ein Nattamar-Parasit fehlte, um uns mit der „Maske des Verschwindens“ im Hirschrevier genauer umsehen zu können, fiel unsere Wahl auf die alte Kirche.
Tiefer die Glocken nie schwingen
Bereits bei einem früheren Besuch im Sakralbau war uns aufgefallen, dass der Boden an einer bestimmten Stelle einen Riss aufweist und den Blick auf einen darunterliegenden Hohlraum preisgibt.
Da Toves Kraft allein nicht genügte, um durch das Gestein zu brechen, half sie mit ein wenig Vandalismus im Glockenturm beherzt nach. Blasphemie hin oder her - der Weg war nun frei.
In der nun erreichbaren Gruft fiel uns sofort das Abbild eines Bären ins Auge, das an seiner Stirnseite vier würfelförmige Aussparungen aufwies, in die sich die bisher in der näheren und weiteren Umgebung gefundenen, mit Ziffern versehenen Steinblöcke einschmiegen zu lassen schienen. Doch in welcher Reihenfolge? Bei genauerer Betrachtung erkannten wir am Relief zudem eine eingeprägte Mondsichel. Obwohl die angrenzenden Grabkammern noch ein paar brauchbare Fundstücke bereit hielten, kamen wir hier zunächst noch nicht weiter.
Wo war uns ein solcher Mond schon einmal begegnet? Beim Kirchenausgang bemerkten wir eine Grablatte, die mit einem vergleichbaren Symbol verziert war. Den Namen Karl Karlsson und vor allem das passende Sterbedatum notierten wir uns. Mit dieser Erkenntnis und den passenden Quadern ausgestattet, näherten wir uns erneut dem Bärenbildnis, das wir dank der passenden Schlosskombination rasch hinter uns ließen.
Eine Ebene tiefer fanden wir uns in einem Saal wieder, der einem Bärenschrein glich. Von besonderem Interesse war eine Bodenplatte, deren Zentrum eine zum Dekor passende Sternenkonstellation darstellte.
Da diese unvollständig zu sein schien, konsultierten wir unser persönliches Archiv, das im besten Fall schon drei kreisrunde, edelsteingarnierte Steinscheiben enthielt.
Kaum war der "Große Bär" passend ergänzt, setzte sich die örtliche Aufzugsteuerung in Gang...
In nächster Nähe, so fern
Tove war in einer riesigen unterirdischen Höhle mit einem stattlichen Brückenbauwerk angekommen. Der Weg zu Jötunbjörn schien geebnet, auch wenn uns die allgegenwärtigen Augen und Spinnweben, die den Aufstieg zu ihm säumten, nicht ganz geheuer vorkamen.
Den Bären selbst fanden wir in einem ähnlich desolaten Zustand vor wie seine Wolfsschwester zuvor: Er war ebenfalls vom Nattamar-Parasiten befallen und wälzte vermutlich endlose Albträume.
Der naheliegende Versuch, ihn mithilfe einer kräftigen Fanfare zu wecken, ging diesmal allerdings gründlich schief: Statt des Bären trat nämlich urplötzlich eine voluminöse weiße Spinne auf den Plan, die keinen Hehl daraus machte, Tove in ihren Ernährungsplan einbeziehen zu wollen. Wir erfuhren, dass sie, die Witwe Drau, unsere Schritte bereits seit der Ankunft im Bärenrevier genau überwacht hatte. Diesen Auftrag habe sie exklusiv von Rörkas gefiederten Boten bekommen, die ihr bei Nichtbefolgung angedroht hätten, ihre Spinnenkinder zu vertilgen.
Rituelle Birnen
Bevor wir uns ein Bild davon machen konnten, welches kulinarische Martyrium Tove bei der Witwe Drau bevorstehen könnte, erhielten wir einen neuen Lagebericht aus Utangard, wo Rörkas Verwandlungsritual mit sichtbarem Erfolg fortgeschritten war - Röki war mittlerweile auf die Körpergröße von Lars geschrumpft.
Während Rörkas Kräfte nach und nach schwanden, hielt sie ihren Sohn dazu an, stärkende rötliche Früchte zu essen, damit er den weiteren Umwandlungsprozess durchhalten könne. Röki indes war diese recht einseitige Diät reichlich zuwider: Er teilte seine beträchtliche Ration heimlich mit Lars.
Nachdem die Rabenboten Rörka Bericht über Toves Inobhutnahme durch Witwe Drau erstattet hatten, gab sie, nicht frei von Bewunderung für den unbeirrbaren Familiensinn des Mädchens, einen seltenen Einblick in ihr Seelenleben: Sie fühlte sich nach wie vor von ihren Geschwistern verraten und wegen ihrer Andersartigkeit ausgegrenzt.
Aus Rache dafür, so erfuhren wir, habe sie die Wächter
bewusst mit dem Nattamar-Parasiten infiziert, um sie in endlosen Albträumen mit ihrem verräterischen Fehlverhalten zu konfrontieren.
Für Röki sähe sie allerdings eine gute Zukunft: Da Lars im Wald geboren worden ist, sei er von Natur aus „von Magie berührt“. Auch deshalb erweise er sich dem Ritual gegenüber würdiger und strapazierfähiger als seine
zahlreichen (!) gescheiterten Vorgänger.
Auf diesen Schreck hin verließen wir Utangard, nicht ohne einer neuerlichen Verständigungsgeste zwischen Lars und Röki teilhaft zu werden.
Im Königreich der Kristallzwerge
Tove trafen wir anschließend, wie zuvor schon beim Nokken, in äußerst misslicher Lage wieder. In bester „Monkey Island“-Manier baumelte sie verpuppt kopfüber von der Decke eines Bergwerks. Das rettende Schwert und den Rest ihrer Habseligkeiten hatte ihr die Witwe in weiser (oder gar weißer?) Voraussicht natürlich abgenommen. Neben Tove hing, auf gleiche Weise immobilisiert, ein kleineres Wesen, das sich uns als den Tomte-Häuptling der Diamantenmine vorstellte. Er erzählte, dass die Witwe Drau seinen Arbeitsplatz gekapert habe und sich seitdem an den arbeitsamen Wichteln labe.
Zudem habe Drau sämtliches Licht aus den Stollen verbannt – sie reagiere darauf nämlich empfindlich. Als Tove beiläufig erwähnte, dass sie aus einer Familie stamme, in der man Tomtes sehr verehre, wurden wir Zeuge(n) einer kleinen Zaubereinlage: Der Häuptling ließ durch eine Luke etwas Licht in die Höhle strömen, woraufhin die Spinne ein gutes Stück zurückwich. Zudem setzte er die "magische Säge" an und durchtrennte Toves Gespinstfaden. Diese stürzte daraufhin einige Stollen tiefer und traf, abgefedert durch ihren Kokon, auf dem Grund der Mine auf.
Witwe Drau hatte sich derweil berappelt und rückte uns erneut unangenehm auf den Leib. Unsere einzige Hoffnung auf einen Ausweg schien darin zu bestehen, uns ihre Lichtallergie zunutze zu machen. Mit einem gewissen Maß an Übersicht, Übung und Kletterkunst vermochten wir es, die Prismen in der Höhle nach und nach zum Strahlen zu bringen. Wir konnten die Spinne damit Stollen für Stollen in die Höhe zu treiben.
Nach einem finalen Blendwerk war Witwe Drau schließlich auch ihrer letzten Bastion beraubt und stürzte jäh in die Tiefe.
Da wir mittlerweile auch wieder in Besitz unserer materiellen Errungenschaften waren, konnten wir neben Tove auch die verstreuten Bergbau-Tomtes befreien, die uns mit einer improvisierten Aufzugfahrt belohnten. Im Nu war Tove durch dasselbe Loch an die Oberfläche entkommen, durch das sie zuvor von der Witwe verschleppt worden war.
Jötunbjörn
Wir verloren keine Zeit und bliesen dem Bären sofort den Marsch, woraufhin...die besiegt geglaubte Spinne erneut auftauchte! Doch kaum hatte Drau zur Jagd angesetzt, erhob sich ein mächtiges Gebrüll, das sie in ihre Grenzen wies – der Wächter hatte wieder das Regiment übernommen!
Noch immer vom Parasiten benebelt, reagierte Jötunbjörn Toves Vorstoß gegenüber ablehnend. Er, als der stärkste aller Wächter, habe für die Belange von Sterblichen kein Verständnis, es sei denn, sie dienten ihm als Opferhappen. Erst, als sich Tove im Gegenzug als das mächtigste aller Mädchen vorstellte, wurde er hellhörig. Als sie ihm von Rörkas zwischenzeitlichen Aktivitäten berichtete und persönliche Referenzen aus dem Wolfsgebirge angeführt hatte, willigte er zumindest darin ein, uns seinen Parasiten näher ansehen zu lassen.
Leider mit dem erwarteten Effekt...
Luftschlagzeuge, Windspiele und verschreckte Singvögel
Erneut waren wir in das Domizil der Jakobsens zurückversetzt. Diesmal schienen die Dinge ihre Bodenhaftung verloren zu haben und sich in einem Schwebezustand zu befinden.
Im Keller, der uns durch unsere spektakuläre Flucht vor Röki bereits vertraut war, entdeckten wir dass eingemottete Familienklavier. Dieser Fund weckte in Tove eine zaghafte Erinnerung an eine bestimmte Melodie, die sie mit ihrer Mutter Eva verband. Allerdings war ihr der genaue Verlauf dieser musikalischen Weise längst nicht mehr präsent. Auch diesmal schien Tove also ein wesentliches auf ihre Mutter bezogenes Kindheitserlebnis verdrängt zu haben.
Wir fanden uns alsbald in einem Flur wieder, an dessen einem Ende prominent das Klavier stand. Drei Türen wiesen den Weg zu bereits bekannten Orten in Toves Elternhaus, die ihrer Musikalität beraubt schienen: Lars schlug im Kinderzimmer auf ein unsichtbares Schlagzeug ein, in der Küche wurde Singvogel Shelley von Stoker am Gesang gehindert und auf der Veranda fehlte ein passendes Objekt, um den im Radio angesagten Luftstrom pünktlich erklingen zu lassen.
Für jeden Klang, den wir wiederherstellen konnten, erhielt Tove ein Notenblatt, das ein Stück der beinahe vergessenen Melodie repräsentierte. Nachdem sie Lars schließlich mit einem improvisierten Schlagzeug ausgeholfen hatte, war sie in Besitz der gesamten Partitur.
Am Klavier wurde Tove bewusst, dass sie als jüngeres Mädchen selbst sehr musikalisch war, genau wie Lars. Ihre Mutter hatte dieses Talent an sie weitergegeben und sie im Klavierspiel unterrichtet. Beide ersannen gemeinsam diese Melodie.
Nach dem Tode Evas hatte Tove nicht nur ihre Handlungen am Brunnen unterdrückt, sondern auch ihre musische Seite komplett verdrängt, weil an diese besonders intensive Erinnerungen an die Mutter geknüpft sind.
(Meister) Petzmunter
Nach der wiederholt schmerzhaften Innenschau konnten wir das Gespräch mit Jötunbjörn fortsetzen und auf das Wesentliche lenken.
Der Wächter bewunderte Toves mächtigen Mut, es zweimal mit dem Nattamar-Parasiten und ihrem eigenen Seelenchaos aufgenommen zu haben. Er selbst sei während seiner nicht enden wollenden Träume immer wieder mit der geschwisterlichen Entscheidung, Rörka zu verbannen, konfrontiert worden. Sein Leid verglich er mit dem von Tove: „Famile. Schmerz und Verlust. Tragödie“.
Jötunbjörn zweifelte offen an seinem damaligen Handeln: War es womöglich zu voreilig? Hätte es für Rörka und ihren Sohn auch einen anderen Weg gegeben?
Rörka habe wider ihre Natur eine menschliche Existenz begehrt. Dies sei zum Scheitern verurteilt gewesen – dem Kind war ihr wahrer Ursprung eingeschrieben. Auch ihr Ersuch an die übrigen Wächter, Röki mit magischen Mitteln ein menschliches Erscheinungsbild zu verleihen, bevor der leibliche Vater ihn sehen würde, habe aufgrund der natürlichen Ordnung im Wald keine Aussicht auf Erfolg gehabt. Was blieb, war die Verbannung von Mutter und Sohn ins Schattenreich.
Die kürzliche Entführung von Lars durch das Portal hätte nur durch den Einsatz dunkler Magie bewerkstelligt werden können, und könne nur dann gelingen, wenn Lars ein „Waldgeborener“, ein von Geburt an von Magie berührtes Kind sei.
Tove fiel wie Schuppen von den Augen, dass Lars' Geschichten von Trollen und anderen magischen Wesen der Wahrheit entsprochen haben könnten, dass er diese vielleicht tatsächlich sehen konnte!
Von der Bedeutsamkeit und Dringlichkeit unseres Vorhabens überzeugt, gab uns auch Jötunbjörn schließlich sein Wort, an der Öffnung des Portals mitzuwirken.
Nächster Halt: Jötunhjort!
Hintergründiges:
Das im Bärenschrein zu ergänzende Sternbild entspricht der Konstellation Ursa Major (Latein: "Große Bärin"). Die sieben daraus hellsten Sterne werden umgangssprachlich als „Großer Wagen“ bezeichnet.
Bei der Witwe Drau könnte es sich um eine Weiße Witwe (Latrodectus pallidus) bzw. Weiße Steppenspinne handeln.
Übersicht.