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Re: Nötigung zu politisch unkorrektem Verhalten in Adventure

Verfasst: 03.06.2013, 18:50
von realchris
Man muss sich vin einem Roman nicht übermäßig mit der Figur identifizieren. Es benötigt nur eine geringe Schnittmenge. Nehmen wir z.B. Dexter. Er ist ein Psychopath, sprich ohne Gewissen. Eigentlich müsste man ihn hassen. Aber, er hat Grundsätze, die wir alle teilen können. Genauso funktioniert auch Batman. Ein Vigilant, aber mit Grundsätzen. Eine Figur, die ohne Motivation tötet oder ohne Motiv, wäre möglicherweise ein Problem.

Man stelle sich vor, dass jemand in einem Spiel einfach so auf die Strasse gehen und ohne Grund jemanden das Gesicht mit einem Baseballschläger zerschmettern soll. Ich denke, das da selbst Egoshooter-Veteranen zumindest ein Problem hätten. In der Regel hast Du ein Ziel oder Auftrag.

Sobald aber ein Motiv, das über bloße Tötungstriebe hinaus geht, vorhanden ist -da reicht schon die Tatsache, dass man einen Raubüberfall beweisfrei halten möchte-,kann man das als Spiel oder Romanhandlung akzeptieren.

Wenn Dexter tötet macht er das zwar aus Trieb, jedoch innerhalb von Prinzipien. Das macht ihn wieder sympathisch. Diese Minimalsympathie muss vorhanden sein. Eine Hauptfigur deren Handlung man nicht nachvollziehen kann und die auch im Bösen keine Schnittmenge besitzt, ist problematisch.

Re: Nötigung zu politisch unkorrektem Verhalten in Adventure

Verfasst: 03.06.2013, 19:35
von Mister L
Mich hat z.B. bei "Zak 2:btas" wirklich gestört, dass Zak seinen Nebenbuhler am Strand killen muss, um wieder an Annie ran zu kommen. [-X
Das hat für mich den wirklich positiven Gesamteindruck des Spiels gemindert.

Wenn in einem Adventure Figuren durch die Hand des Spielers sterben sollen, muss das zumindest zur Spielwelt passen.
Wenn Indy einen Nazi mit einem Stein zerquetscht ist das was anderes - aber den neuen Freund der Ex einfach zu grillen ist hart und hätte anders gelößt werden können. :|

Re: Nötigung zu politisch unkorrektem Verhalten in Adventure

Verfasst: 03.06.2013, 19:53
von fireorange
Mister L hat geschrieben:Mich hat z.B. bei "Zak 2:btas" wirklich gestört, dass Zak seinen Nebenbuhler am Strand killen muss, um wieder an Annie ran zu kommen. [-X
Das hat für mich den wirklich positiven Gesamteindruck des Spiels gemindert.
Wenn ich mich richtig erinnere, gab es aber einen alternativen Loesungsweg. Da ist es bei Deponia 2 etwas härter, weil man da diversen Lebewesen das Lebenslicht ausloeschen muss und keine Alternative hat. Das fand ich auch etwas bedenklich und es wirkte sich nicht so ganz ideal auf meinen Gesamteindruck aus. Dazu muss man vielleicht auch berücksichtigen, dass Deponia ohnehin einen eher "trashigen" Humor und Rätsel beinhaltet.

Re: Nötigung zu politisch unkorrektem Verhalten in Adventure

Verfasst: 03.06.2013, 20:00
von realchris
aber den neuen Freund der Ex einfach zu grillen ist hart und hätte anders gelößt werden können
ES geschieht aber mit Motiv. Immerhin.

Re: Nötigung zu politisch unkorrektem Verhalten in Adventure

Verfasst: 03.06.2013, 20:41
von enigma
Aus den ganzen genannten Gründen hatte ich übrigens große Probleme mit John Yesterday. Dort wird die Geschichte ja in der zweiten Person erzählt, man stößt also ständig auf Formulierungen wie "Du tust dieses oder jenes". Das biss sich heftig mit meinem Verständnis dass eben nicht ich es war, der etwas tat, sondern John Yesterday, und störte so die Immersion gewaltig.

Re: Nötigung zu politisch unkorrektem Verhalten in Adventure

Verfasst: 03.06.2013, 21:16
von Das Vieh
Ich finde die Diskussion sehr interessant. Zuletzt ist mir das beim Testen von Virtue's Last Reward aufgefallen. Das Spiel vermittelt zunächst eine Atmosphäre, in der man selbst viel entscheiden und beeinflussen kann – um in entscheidenden Momenten den gespielten Charakter unabhängig vom Spieler etwas tun zu lassen, womit man gar nicht einverstanden ist (zum Beispiel völlig deplatzierte sexuelle Anspielungen). Außerdem wurde man gezwungen, Menschen zu betrügen, die einem vertrauen, um alle Ecken der Geschichte abzulaufen. Dabei habe ich mich stets ein wenig unwohl gefühlt, oft auch nach der Entscheidung sogar kurzzeitig schlecht, denn das Spiel breitet die Konsequenzen von Entscheidungen gnadenlos aus. Das ist denke ich ein interessanter Punkt, denn im Gegensatz zu den genannten Beispielen wird die Handlung sehr kritisch hinterfragt, obwohl man quasi gezwungen wurde.

Re: Nötigung zu politisch unkorrektem Verhalten in Adventure

Verfasst: 03.06.2013, 21:44
von Vainamoinen
realchris hat geschrieben:Man muss sich vin einem Roman nicht übermäßig mit der Figur identifizieren.
Vertrau dem Literaturwissenschaftler hier. Man muss sich ÜBERHAUPT NICHT mit dem Protagonisten identifizieren... und tendenziell gilt, für je grandioser der Roman gehalten wird, desto abstoßender, unverständlicher, inaktiver oder langweiliger verhält sich der Protagonist. :mrgreen:

Das bedeutet aber nicht, dass es nicht auch in der Bücherwelt perfekte Identifikationsfiguren gibt und gab... hat schon seinen Grund, warum sich die liebeskranken Selbstmörder in den 1770ern gerne im blauen Frack die Kugel gaben...

Re: Nötigung zu politisch unkorrektem Verhalten in Adventure

Verfasst: 03.06.2013, 21:53
von realchris
Hallo,

KOMBI BA Germanistik/Philosophie.

Ich vertrau mir nur selbst.


Es ist richtig, dass Du Dich nicht mit dem Protagonisten identifizieren musst. Du benötigst aber eine Schnittmenge der Menschlichkeit zu ihm, da Du als Leser sonst das Buch in die Ecke pfefferst. Jeder Roman hat eine Figur, und sei es nur eine Nebenfigur oder ein Teilaspekt der Hauptfigur, die der Leser verstehen kann oder sogar sympathisch findet. Selbst American Psycho hat das. Selbst wenn Du eine absolut böse Figur hast, muss sie so konzipiert sein, dass Du sie z.B. mit dem Bösen in Dir vergleichen kannst. Eine Figur, die völlig vom Menschlichen getrennt ist, nur Aversion auslöst, ohne zwischendurch menschliche Fragmente zu zeigen, verfolgst Du als Leser nicht über 600 Seiten. Das funktioniert nur, wenn der Autor eine Nebenfigur einführt, die sozusagen diesen Part übernimmt. Mir fällt auch ehrlich gesagt kein Werk in der Literatur ein, wo die Aversion absolut bleibt, wo nicht irgendwo im Buch etwas menschliches zu finden ist. Du kannst in einer absolut bösen Figur auch keine Entwicklung aufzeigen, somit keine Dramaturgie entwickeln.

Z.B. bei der Serie House of Cards hast Du einen absolut unsympathischen Charakter. An ihm ist alles schlecht. Dennoch funktioniert die Serie, weil Du Mitgefühl mit den Nebendarstellern entwickelst, die von diesem bösen Soziopathen geschädigt und manipuliert werden. Die Welt entwickelt sich hier, nicht die Hauptfigur.

Re: Nötigung zu politisch unkorrektem Verhalten in Adventure

Verfasst: 03.06.2013, 22:16
von Bratwurstschnecke
Mir fällt gerade Lucius dazu ein. Hab es zwar nicht gespielt aber nach dem, was ich davon gelesen habe, könnte man das wohl exemplarisch heranziehen.

Re: Nötigung zu politisch unkorrektem Verhalten in Adventure

Verfasst: 03.06.2013, 22:19
von Vainamoinen
realchris hat geschrieben:Eine Figur, die völlig vom Menschlichen getrennt ist, nur Aversion auslöst, ohne zwischendurch menschliche Fragmente zu zeigen, verfolgst Du als Leser nicht über 600 Seiten.
Von "nicht menschlich" habe ich auch an keiner Stelle gesprochen. Ich sagte: abstoßend, unverständlich, inaktiv oder langweilig. Vier Eigenschaften, die man mithin durchaus menschlich nennen könnte, welche die Identifikation jedoch erschweren.

Re: Nötigung zu politisch unkorrektem Verhalten in Adventure

Verfasst: 03.06.2013, 22:38
von realchris
Aber ich habe davon gesprochen und Du hast ja Bezug auf mich genommen. Also reden wir aneinander vorbei.

Re: Nötigung zu politisch unkorrektem Verhalten in Adventure

Verfasst: 03.06.2013, 22:41
von enigma
Hm. So komplett kompromisslos böse gefällt mir auch, da brauch ich eigentlich gar keine sympathischen Nebendarsteller, damit es funktioniert. Das hat schon seinen ganz eigenen Reiz.

Ich hab die Manipulationen und die Hauptcharaktere in House of Cards genossen (wenn Du jedenfalls die US-Serie meinst, die Ursprüngliche der BBC hab ich nie gesehen), auch weil es einfach mal etwas anderes ist; ein anderes (klassisches) Beispiel wäre im übrigen die Marquise de Merteuil in de Laclos' Gefährliche Liebschaften gewesen, die so wunderbar hinterhältig und intrigant ist, dass es eine reine Freude ist, das Buch (bzw. die Briefe) zu lesen.

Re: Nötigung zu politisch unkorrektem Verhalten in Adventure

Verfasst: 03.06.2013, 22:48
von Kikimora
Hehe, da muss ich auch gerade mal reingrätschen und Zak:btas verteidigen - man musste Annies Liebhaber wirklich NICHT umbringen. Es war zwar die offensichtlichere und einfachere Möglichkeit, das Problem zu lösen, aber das ist ja nur realistisch - lügen und andere verletzen ist meist einfacher, als der menschenfreundlichere Weg. So ist das Leben. ;)

Ansonsten sehe ich es auch so, dass man nicht ohne glaubhafte Motivation dazu gezwungen werden sollte, so zu handeln.

Re: Nötigung zu politisch unkorrektem Verhalten in Adventure

Verfasst: 03.06.2013, 23:37
von realchris
wir reden aneinander vorbei gilt auch für enigma.

es geht nicht darum, ob nett oder arsch. es gibt auch sympathische ärsche. house of cards ist ein der neuen version noch böser und komromissloser und besser gespielt.

Re: Nötigung zu politisch unkorrektem Verhalten in Adventure

Verfasst: 03.06.2013, 23:56
von Vainamoinen
realchris hat geschrieben:Aber ich habe davon gesprochen und Du hast ja Bezug auf mich genommen. Also reden wir aneinander vorbei.
Nein, du hast mich nur nicht verstanden. Gib dir ma'n bisschen Mühe. :wink: