Habe mich jetzt auch durch den Raben "gerätselt"
Ich hatte mich riesig auf das Spiel gefreut und hatte hohe Erwartungen, da ich bisher mit allem wo KingArt seine Finger drin hatte immer sehr zufrieden war. Der Rabe hat allerdings einen ambivalenten Eindruck bei mir hinterlassen.
Einerseits haben mich die toll gezeichneten Charaktere, die sehr gut geschriebenen und vor allem hervorragend vertonten Dialoge und die grafische Umsetzung des Settings hinsichtlich des gewählten Stiles beeindruckt.
Andererseits muss man aufgrund der vielen technischen Unzulänglichkeiten (und ich rede nicht von den zahlreichen Bugs) viel Geduld und Gelassenheit aufbringen, um das Spiel bis zum Ende durchzuspielen. Obwohl ich eigentlich gerade beim Spielen von Adventures diese Eigenschaften mitbringe, musste ich mich selbst mehrmals ermahnen, das Spiel nicht vorzeitig abzubrechen.
Außerdem sind für meinen Geschmack ein paar zu viele Storytwists eingesetzt worden, das Ende wirkt konstruiert und wenig glaubhaft, die Rätsel passen aufgrund ihres Anspruchs und ihrer Art eher eher zu einer Geheimakte. Auch die Rätseldichte ist nicht homogen.
Die Story weist leider einige Logiklöcher auf, die zwar nicht spielspaßverderbend sind, jedoch einem nicht das Gefühl geben einen rundum schlüssigen und intelligenten Whodunnit-Krimi erlebt zu haben. Trotzdem wollte ich stets wissen, wie die Geschichte weitergeht und was die Charaktere noch alles an Geheimnissen offenbaren.
Die technischen Mängel im Detail:
1. Die Animationen der Charaktere sind extrahiert von ihrer Umgebung flüssig und detailiert. Allerdings sind die Wegfindungsroutinen derart lahmarschig und störanfällig umgesetzt, dass einem manchmal die Lust vergeht sich durch die an sich schönen Szenen durchzuklicken. Dies liegt allerdings auch an der feedbackarmen Maussteuerung (Hiermit haben aber auch andere Adventures der neueren Zeit zu kämpfen).
2. Im Spiel gibt es gibt keinerlei Gehgeräusche, dh. die Charaktere "schweben" absolut lautlos über den Boden. In manchen Szenen fehlen gar sämtliche Aktionsgeräusche. Bei den Zwischensequenzen in der Ingame-Engine ist die Vertonung der Umgebungsgeräusche sowie der Aktionsgeräusche fehlerhaft.
3. Es wurde im Vorfeld von Entwicklerseite betont, dass durch die Nutzung einer 3D-Engine die Möglicheit der flexiblen und dynamischen Kameraeinstellungen zahlreich genutzt wird. Was bei vorgerenderten Hintergründen mit erheblich mehr Aufwand zu bewerkstelligen ist, geht hier mittels ein paar Mausklicks im entsprechenden Tool schneller von der Hand. Natürlich sollte auch hierbei viel Arbeit in die Schnitttechnik und Perspektivenwahl gesteckt werden. Jedoch ist von dem Versprechen im Endprodukt nicht mehr viel übriggeblieben. Ich kann mich praktisch an keine Kameraschwenks erinnern noch an die Verwendung von Zoomeffekten oder sonstigen filmtechnischen Mitteln (selbstablaufende Zwischensequenzen ausgenommen). Liebe Entwickler, das macht die Verwendung von 3D-Engines für das Adventuregenre ja gerade erst so richtig interessant, schneidet euch mal eine dicke Scheibe ab von euren amerikanischen Kollegen, mögen sie nun Telltale, Naughty Dog oder Quantic Dream (ja, französisch im Ursprung, aber vom Producing mittlerweile auch sehr amerikanisch) heißen. Und nein, dies ist übrigens keine Frage des Budgets.
Das alles führt unweigerlich zu Abzügen bei der Atmosphäre des Spiels, die ansonsten durch das Setting und die Charaktere sehr ansprechend ist.
Die Story im Detail:
Mit der wichtigste Punkt in einem Krimiadventure ist neben der Glaubhaftigkeit der Charaktere die Story und deren dramaturgische Präsentation.
Was in den Trailern und z.T. auch in den zahlreichen Zwischensequenzen richtig spannend daherkam, verliert im eigentlichen Spiel seinen Anspruch an einen "Krimi". Hier wird jegliche Spannung, die in bestimmten Szenen aufgebaut wird, durch die Verwendung von zu langen und langatmigen Konversationen, dem umständlichen Herumgelaufe und dem Lösen von Rätseln im MacGuyver/Geheimakte Stil (ich sage nur: Kaugummi), wieder herausgenommen.
Die Story wird in klassischer Whodunnit-Weise erzählt und präsentiert. Leider lassen sich der Verlauf der Geschichte und die Täterfrage vorhersehen, bzw. vermuten. Das Ende ist vollkommen unpassend. Auch wenn ein zufriedenstellendes Ende geboten wird, ist unter dieser Prämisse ein erneutes Durchspielen nicht mehr möglich.
Der mehrmalige Wechsel des Spielcharakters hat mir sehr gut gefallen, auch wenn die betreffenden Abschnitte in Summe zu kurz ausfallen. Jedoch führen sie zu einem besseren Verständnis des Geschehenen, verstärken die Spielerbindung zu den Charakteren und erlauben ein tieferes Auseinandersetzen mit Leben und Wesen der Charaktere. Allerdings sind durch die Verwendung eben dieser Wechsel leider auch Fehler im Ablauf der Story entstanden.
Zwei Beispiele sind mir noch in guter Erinnerung:
Die Grafik im Detail:
Sowohl die Charaktergrafiken als auch die Hintergründe haben mir - mit Ausnahmen - gut gefallen, sie wirken authentisch und sind mit viel Liebe zum Detail versehen. (Sehr schön waren z.B. die Closeups vom Forensic-Lab des Inspektors und von der mobilen Bar der Baronin. Hiervon hätte ich gern mehr gesehen.) Der Grafikstil mit seiner Comic-Note ist durchgehend stimmig. Leider sind eingige wenige Szenen nicht gelungen, z.B. die Nahaufnahmen, als Zellner versucht die Waggons zu entkoppeln. Auch das Werfen von Schatten, die von dynamischen Lichtquellen (Fackel, Taschenlampe) erzeugt werden, wurde leider engineseitig gar nicht umgesetzt. Die Echtzeitspiegelungen in Fenstern und Boden sind dagegen sehr gut gelungen.
Der Sound/ die Musik im Detail:
Die Musik im Spiel hat mir sehr gut gefallen, das Hauptthema ist stimmig komponiert und erzeugt mit der Zeit (auch den häufigen Wiederholungen geschuldet) einen gewissen Ohrwurm, so dass man auch nach Spielende noch was davon hat

Gerade auch durch die Musik im Spiel wurde ich in eine eine angenehme Stimmungslage versetzt, die man benötigt, um das Spiel genießen zu können. Leider gibt es nicht wenige Soundfehler im Spiel, die sich somit auch auf die Atmosphäre auswirken.
Die Rätsel im Detail:
Die Rätsel sind durchgehend von leichtem (die meisten) bis mittelschwerem (ein paar wenige) Schwierigkeitsgrad. Vorteil ist, man muss sich nicht lange mit ihnen aufhalten und kann die Story besser erfahren, jedoch hätte ich mir gerade in einem Krimi-Adventure doch ein paar schwierigere und vor allem intelligentere Rätsel gewünscht. Störend ist, dass die Rätseldichte, also die homogene Verteilung der einzelnen Rätsel und die Kurve des Schwierigkeitsgrades nicht ausgewogen waren. Die beiden Schalterrätsel fand ich unpassend.
Insgesamt hat mir das Spiel noch gut gefallen. Ich finde, das Spiel hat einen ganz eigenen Flair, eine Atmosphäre, von der man sich - nicht zuletzt auch wegen der angesprochenen technischen Defizite und anderer Schnitzer im Design - allerdings auch erstmal einnehmen können lassen muss. Dann kann man den Titel auch genießen. Man sollte allerdings ein gewisses Maß an Frustresistenz mitbringen und über den ein oder anderen Logikfehler in der Story hinwegsehen können. Außerdem sollte man keinen großen Anspruch an die Rätsel stellen. Die Frage stellt sich, ob KingArt nicht sogar besser damit gefahren wäre, die Rätsel komplett zu entfernen (bzw. sich auf reine Dialogrätsel zu konzentrieren), also den Telltaleschen Weg zu gehen. Hätte zu dem Spiel gepasst.
Ich verzichte bewusst auf eine abschließende Bewertung in Form eines absoluten Zahlenwertes. Mehr Sinn würde der Versuch einer Einordung in eine Liste von gleichgearteten Adventuretiteln machen. Und ein Vergleich mit Titeln aus dem selben Hause.
EDIT:
Da mein Review jetzt doch etwas länger geworden ist, als geplant, kann es auch gerne in die Rubrik Community-Tests verschoben werden.
