Nestflüchtige Krokelinge
Nach dem schweißtreibenden Besuch bei Jötunbjörn verfügten wir nun über alle Zutaten für die „Maske des Verschwindens“.
Falls nicht, war womöglich noch ein Abstecher zum Mühlteich notwendig, den Mamma Kroke vor einiger Zeit gekapert hatte, wie wir vom Baum der Sehenden erfahren konnten. Wenn wir Krokes abtrünnige Krokelinge zu einer Rückkehr in den mütterlichen Schoß bewegen würden, wäre sie dazu bereit, uns eine Probe ihres kostbaren Barthaars zu überlassen. Kein Problem! Einen Statuentausch, eine schleimige Fütterung und eine clevere Angelaktion später hatten wir das Kröten-Triumvirat im (Ruck-)Sack. Auch wenn den aufsässigen Krokelingen erst einmal strikter Hausarrest drohte, verließen wir den Teich mit einem guten Gefühl – und um eine haarige Zutat reicher.
An dieser Stelle hatten wir auch Gelegenheit, uns ausführlich vom Wald und seinen liebgewonnen Bewohner*innen zu verabschieden. Auch nach womöglich noch verbliebenen Dekoobjekten für unsere Sammelmappe konnten wir hier letztmalig forschen.
Augen zu und durch
Mit den zuletzt angesammelten Kuriositäten fütterten wir in der Kräuterküche des Hirschreviers den dampfenden Kessel. Nachdem unser körper- und namenloser Koch das Gebräu hinreichend abgeschmeckt hatte, durfte Tove zur Maskenanprobe schreiten, woraufhin sie plötzlich nur noch schemenhaft, als Schatten ihrer selbst erschien. Die hoch wachsame Flora in der Umgebung sollte sie auf diese Weise unbemerkt passieren können.
Um den Wächter Jötunhjort erreichen zu können, würde sie allerdings eine weitere, diesmal „allsehende“ Maske benötigen, für deren Ingredienzen sie der Kräuterkundler sogleich erneut in die Pilze schickte. Auch die neuen Zutaten klangen reichlich verwegen: So waren der Augapfel eines Augapfelpilzes, etwas Molchlaich, der Schädel einer Eule und drei Blaukappenpilze zu beschaffen.
Die „Maske des Verschwindens“ aber erleichterte die Suche ungemein, schließlich konnte Tove nun ungesehen durch die meisten der vorher versperrten Tore schlüpfen.
Auch die Stufen zu Jötunhjort konnten wir bereits ein Stück weit erklimmen. Allerdings war der Pilzbefall an diesem Ort so stark ausgeprägt, dass Tove den Wächterwecker nicht in Gang setzen konnte – der Bewuchs an dem Horn war so hartnäckig, dass er auch mit unserer wohlerprobten Klinge nicht nachhaltig zu bezwingen war. Wir beschlossen, später und besser ausgerüstet wiederzukehren. Immerhin konnten wir dort einen der gesuchten Blaukappenpilze entdecken.
In der näheren Umgebung waren wir allemal erfolgreicher: So absonderlich die benötigten Naturprodukte auf uns wirkten, so einfach waren sie aufzutreiben – notfalls mit etwas Nachdruck.
Maximale Maskerade
Kaum hatten wir die letzte Zutat in den Braukessel geworfen, lag auch schon die zweite Maske für uns bereit. Bei der obligatorischen Anprobe sahen wir zum ersten Mal das Antlitz unseres zuvor anonymen Helfers, der sich uns als Pilzchen vorstellte. Sein eifriges Engagement in ihrer Sache begründete er mit Toves kürzlichen Verdiensten um den Wald. Mit dem „Truggesicht des Wiedererscheinens“ wolle er ihr die Fähigkeit verleihen, fortan auch Dinge sehen zu können, die durch Magie verborgen wurden.
Pilzchen erläuterte, dass Jötunjhort das Epizentrum des Verderbnispilzbefalls sei. Um den Wächter von der Seuche befreien zu können, bat er Tove darum, ihre neuen Superkräfte für die Beschaffung dreier Nattablüten einzusetzen, aus denen er ein wirksames Fungizid synthetisieren wolle.
Nunmehr mit zwei, keineswegs alltäglichen, Masken ausgerüstet, eröffneten sich uns ganz neue Wege und Perspektiven. Plötzlich erschienen wie aus dem Nichts Brücken und Vorsprünge, winzige Behausungen und furchterregende Skulpturen, die direkt Toves Albträumen entsprungen zu sein schienen.
Auch die benötigten Nattablüten waren nun sichtbar, erreichbar indes nicht. Sie schienen bevorzugt in allzu großer Höhe zu wachsen. Eine rettende Leiter in passender Größe war vorerst nicht in Sicht.
Schimmel am Bau
Zum Glück durften wir die segensreiche Bekanntschaft Älvas machen, der sich nach einem unbedarften Nickerchen gefangen im Velum eines Frauenschleierpilzes wiedergefunden hatte. Seiner Bitte, ihm aus seinem reizenden Heim den zur Flucht unabdingbaren Zauberstab zu holen, kamen wir gerne nach. Die Option, den tückischen Pilz stattdessen zu verspeisen, zog Tove nicht in Betracht.
Mit geschwungenem Zauberstab ließ sie Älvas Gefängnis rasch anwachsen und konnte das freundliche Flügelwesen so vor dem sicheren Schicksal bewahren, als Pilzfutter zu enden. Den Stab selbst durfte sie nach diesem Probegang sogar behalten.
Wir waren somit nicht nur mit den Fähigkeiten zu verschwinden und hinter die Dinge zu blicken gesegnet, sondern verfügten nun auch über ein wachstumsförderndes und -hemmendes magisches Hilfsmittel.
Durch die geschickte Kombination dieser Spezialfertigkeiten gelang es uns nach und nach, den kostbaren Nattablüten verwendbare Proben zu entnehmen. Ein wenig um die Ecke denken mussten wir dabei aber. Beispielsweise galt es, eine verhexte Pilzformation (danke dafür @Loma!) als Geheimnisträgerin zu entlarven oder eine bereits häufiger bestiegene Treppe gedanklich in einen völlig neuen Topf zu setzen. Trollhulde wäre, ob unseres botanischen Geschicks, bestimmt mächtig stolz!
Zurück in Pilzchens Kräuterlabor, erhielten wir im Tausch gegen das rare Geblüt ein starkes Gegengift, das den Seuchenbefall am Wächterschrein zurückdrängen sollte. Da es hieß, dass das Fungizid tief in in den Pilz eindringen müsse, benetzten wir unseren Dolch damit. An Jötunhjorts Altar konnten wir dann auch, wie erhofft, das Horn mit einer saftigen Injektion endgültig vom aggressiven Bewuchs befreien.
Doch anstatt gewohnheitsgemäß zum Gebläse zu schreiten und den weisen Hirsch wecken zu können, wurde Tove erneut schwarz vor Augen...
Hello darkness, my old friend
Was war geschehen? Tove hatte noch nicht einmal den Nattamar-Parasiten an Jötunhjorts Nacken berührt! Und doch fand sie sich einmal mehr in einer albtraumhaft-entrückten Version ihres Elternhauses wieder, das diesmal zudem von demselben Pilz befallen schien, der zuvor auch den Wald zersetzt hatte.
Zunächst mussten wir uns hier um einen kümmerlichen Setzling kümmern, der nach Nahrung und Brunnenwasser verlangte. Als wir den „Kümmerling“ gebührend versorgt hatten, wuchs er urplötzlich auf enorme Größe an - gar durch die Küchendecke.
Auf einem Plateau angelangt, war Tove erst einmal eine Tür im Weg bzw. war diese in Stand zu setzen. Die Tür führte in eine weitere Ausführung der heimischen Küche, in der wir eine deutlich jüngere Tove antrafen, die in ein Spiel, dem einige Teile fehlten, vertieft war. Zudem fanden wir hier eine weitere Wasserquelle, mithilfe derer wir den bereits stattlichen Baum weiter anwachsen ließen.
Diese resultierende riesige Konstruktion, die in ihrer Form an das prächtige Geweih Jötunhjorts erinnerte, wies mehrere Stationen auf, die Szenen der letzten Tage (gar Stunden?) vor Lars' Geburt abzubilden schienen. Tove saß malend am Esstisch, Pappa Henrik schraubte am Familienwagen und strich das für den Neuankömmling bestimmte Kinderbett, die hochschwangere Eva schließlich strickte eifrig an Lars' allererster Garderobe.
In jede dieser Szenen hatten sich allerdings Fehler eingeschlichen: Statt mit Buntstiften zu malen, zerkratzte Tove den Tisch mit Stricknadeln. Die Mutter nutzte bei der Handarbeit allzu grobes Werkzeug und Henrik dürfte den Wagen sicherlich nicht mit einem Eimer Farbe repariert haben. Zudem war der Zugang zu allen vier Erinnerungen durch die hinlänglich bekannten Tentakelranken versperrt, sodass wir auch an die für Toves Kinderspiel dringend benötigten bunten Reife nicht herankamen.
Je mehr sie aber in ihren Erinnerungen richtigstellte, desto quälender wurde es für Tove. Mit dem Pilzbefall wichen auch die mentalen Barrieren, die es ihr zuvor ermöglicht hatten, sich mit den Ereignissen jener Tage nicht auseinandersetzen zu müssen. Besonders schmerzhaft für sie schien die korrigierte Erinnerung an die Autoreparatur zu sein: Wir erfuhren, dass sich direkt im Anschluss etwas Schlimmes ereignet habe.
Tove war sich jedoch bewusst, dass sie auch diesem Teil ihrer Vergangenheit entgegentreten müsse, um in dem Albtraum nicht ewig verharren zu müssen.
Nachdem wir auch Klein-Toves Spielzeug komplettiert hatten, wurden wir Zeuge der letzten Momente vor der womöglich schicksalhaften Autofahrt der Jakobsens: Tove gab ein gemaltes Bild von sich und dem noch ungeborenen Lars an ihre Eltern und schwor, immer für ihn da sein zu wollen. Kaum war dieser Schwur besiegelt, setzten bei Eva die Wehen ein - die Familie stürzte zur Tür...
Tove erwachte mit dem Flehen, dass man sie nicht dazu zwingen möge, „es“ noch einmal zu tun. An wen dieser Wunsch gerichtet war und um welche Tat es sich dabei handeln könnte, blieb allerdings noch im Dunkeln.
Nach dieser erneuten qualvollen Seelenschau zweifelte Tove zum ersten Mal an ihren Kräften. Liegt der Preis für ihre Mission womöglich zu hoch?
Jötunhjort
Überraschenderweise war der Wächter, trotz Parasitenbefalls, die ganze Zeit über wach gewesen! Jötunhjort berichtete, dass er Toves Reise durch den Wald aufmerksam verfolgt habe. Auch den von Rörka geschickten Nattamar-Parasiten habe er auf sich zukommen sehen. Aufhalten konnte er ihn indes nicht. Seine Aufgabe, alles zu beobachten, was das Gleichgewicht des Waldes stören könnte, beschrieb er uns damit als seinen eigentlichen Fluch.
Er erzählte uns auch etwas mehr zu den Ereignissen nach der Geburt Rökis. Rörka hatte ihren Holzfällergatten verlassen, um diesem ihre wahre Natur und die des Kindes zu verheimlichen. Nach der darauffolgenden Verbannung Rörkas setzte beim verlassenen Ehemann eine Phase tiefer Trauer ein, der er in Form hölzerner Rabenfiguren im Wald gestalterisch Ausdruck verlieh.
Der Hirsch räumte ein, dass selbst seine legendäre Weisheit nicht genügt habe, um Rörkas Wunsch nach einem vollkommen menschlichen Kind zu erfüllen. Sein Versagen und das seiner Geschwister habe nicht nur die Wächterfamilie zerrissen, sondern auch dazu geführt, dass das Chaos Eingang in den Wald finden konnte.
An Toves Befreiungsplänen zweifelte er zunächst. Was, wenn sie irrte, sich verrannt habe? Tove entgegnete aber, dass es nie der falsche Weg sein könne, jemandem helfen zu wollen.
Dies schließlich überzeugte den Hirsch, der Tove eine große Geisteskraft attestierte, in der sich die Züge aller drei Wächter wiederfänden: Unerschütterlichkeit, Stärke und Weisheit. Genügend, um selbst Riesen aufzuerwecken!
Unverhoffte Unterstützung
Kurze Zeit später trafen wir Tove inmitten des Steinkreises auf der Waldlichtung wieder. Mit gebündelter spiritueller Präsenz begannen die Wächter Jötunúlfur, Jötunbjörn und Jötunhjort damit, die Öffnung des Portals in Richtung Utangard einzuleiten.
Derweil gab es ein völlig überraschendes Wiedersehen mit Pappa Henrik, dem wir aus den Trümmern der eingestürzten Familienresidenz helfen konnten. Er bemerkte die Schlittenspuren im Vorgarten und begab sich unverzüglich auf die Suche nach den Kindern.
Das Portal öffnete sich weiter! Die Wächter warnten Tove, dass sie ihr nach dem Übertritt in Rörkas Reich nicht mehr helfen würden können.
Henrik wiederum stieß im Wald auf die Überreste des Schlittens. Er hoffte inständig, dass den Kindern nichts zugestoßen sei. Schließlich habe der Wald bereits „genug“ bekommen. Zum Glück entdeckte er die von Lars hinterlassenen Murmeln. Er folgte der Spur.
Das Portal mittlerweile war beinahe offen, trotz immensen Widerstands Rörkas.
Henrik näherte sich zeitgleich weiter an.
Endlich war der Weg zu Lars gepflastert! Trotz der Warnung, dass das Portal kein zweites Mal geöffnet werden könne, schritt Tove mutig hindurch.
Henrik kam einen Atemzug später auf der Lichtung an und beobachtete, wie sich das Portal vor ihm schloss. Für die weitere Suche nach Lars und Tove nahm er die gegenüberliegende Insel ins Visier. Ein seetüchtiges Boot war schnell gefunden...
Fundstücke
Die Ähnlichkeit zwischen Tove und ihrer Mutter ist wirklich frappierend.
Über der Krippe für den auf dem Weg befindlichen kleinen Bruder baumelt ein interessantes Mobile. Lars stand anscheinend schon von Geburt an unter dem besonderen Schutz der Wächter.
Interessant ist hier auch die Tatsache, dass Jötunravns/Rörkas Abwesenheit durch einen der Spielreife Toves kompensiert bzw. ausbalanciert wird. Füllt sie mit ihrem Schwur, immer ein Auge auf Lars geben zu wollen, die Rolle des vierten Wächters aus? Wenn man die Worte Jötunhjorts beherzigt, dass Tove die Tugenden aller drei Wächter – Unterschütterlichkeit, Stärke und Weisheit - in sich zu gleichen Teilen vereint, ergibt sich auch die „vollkommene“ Kreisform des Gegengewichts.
Pilzkunde
Die Gruppe der Schleierlingsverwandten (Abteilung: "Ständerpilze") stellt mit rund 30.000 Varianten ein Drittel aller bekannten Pilzarten dar. Das Exemplar, das Älva gefangen hält, ist botanisch nicht konkret dokumentiert. Allerdings weisen sämtliche Unter- und Abarten dieser Familie einen faserigen Schleier auf, der ihre verwundbaren jugendlichen Lamellen vor äußeren Einflüssen schützen soll. In exakt ein solches "Velum“ (Latein: “Schleier“) schien sich Älva verstrickt zu haben.
Die Spur des Blaukappenpilzes führt ins südöstliche Nordamerika, genauer: zu der Gattung "Indigo-Reizker“. Ihr bläulich schimmernder Hut soll auf stattliche 15 Zentimeter anwachsen können. Praktischerweise ist dieser Pilz durchaus genießbar, was sich mittlerweile gar bis nach China herumgesprochen haben soll.
Toves treue Mitstreiterin Loma bemerkte zuletzt eine besondere Pilzformation, die man gemeinhin als "Hexen"- oder "Feenring" bezeichnet. Der unterirdischen Aktivität von Myze- bzw. Pilzfäden ist zu verdanken, dass die an der Oberfläche sichtbaren Fruchtkörper räumlich effiziente, kreisförmige Strukturen ausbilden. Man kennt mittlerweile rund 60 Pilzarten, die dazu imstande sind, sich entsprechend zu organisieren. Der maximale bekannte Durchmesser eines solchen Kreises bemisst übrigens 600 Meter und wird von "Mönchsköpfen“ gestaltet. Den weitverbreiteten Volksglauben, dass inmitten dieser Kreise heilende magische Kräfte wirken könnten, machte sich Tove clever zunutze.