Oki, dann möchte ich mich nun auch einmal zu dem letzten Abschnitt unserer langen gemeinsamen Reise auslassen.
Eines der Dinge, die mir diesmal aufgefallen sind, so wie auch schon in früheren Abschnitten, ist, daß die Hintergründe wie z.B. die ganzen Menschen in der Transferstation oder das Meer an verschiedenen Orten doch recht statisch wirken. OK, das ist jetzt nicht sooo schlimm, aber bisweilen fällt es doch etwas störend auf.
Lustig war natürlich die Beseitigung der Wache mittels des Viagras aus dem Automaten.
Tja, April muß eben auf gewisse Art mit den Waffen der Frauen kämpfen.
Was mich auch wundert, ist, daß Adrian ziemlich devot und uneigenständig daherkommt. Ich meine, er war ein Jahrtausend lang der Hüter der zwei Welten, aber nun scheint er kaum noch einen Plan zu haben. Er zweifelt auch keinen Augenblick an April oder hinterfragt ihr Tun. Von einem weisen und mächtigen Hüter hätte ich da doch etwas mehr erwartet irgendwie.
Und dann erfahren wir natürlich endlich etwas mehr über Aprils Vergangenheit und warum sie ihre Heimat mit recht unguten Gedanken verlassen hat.
April ist eigentlich ein adoptiertes Kind. Nachdem ihr Vater sie versehentlich als kleines Baby hat fallenlassen, hieß es, sie würde nie wieder laufen können. Ich denke mal, solch eine Nachricht würde die meisten Eltern aus ihrem Gleichgewicht bringen. Ich nehme einfach mal an, daß nicht nur der Vater sich die Schuld gegeben hat, sondern eventuell auch die Mutter dem Vater. Das würde jedenfalls erklären, warum der Vater sagt, daß April die Familie zerstört hat. Er konnte mit der Schuld, die er sich gegeben hat, nicht mehr klarkommen und brauchte sozusagen einen "Sündenbock" für sein Leid, daher hat er seine Schuldvorwürfe auf sie projeziert, was wohl in der Tat letztendlich die Familie zerstört hat.
Aber dadurch, daß April nun erfahren hat, was der eigentliche Grund dafür war, daß ihr Vater sie so sehr "gehaßt" hat, und daß dieser Haß eigentlich nur aus großer Liebe entstanden ist, kann sie ihre eigenen negativen Gefühle überwinden und ihm verzeihen.
Sie findet sozusagen ihren eigenen Frieden, ihr eigenes, inneres Gleichgewicht.
Noch denkt sie ja an dieser Stelle, daß sie der nächste Hüter werden wird, und wie kann ein Hüter das Gleichbewicht bewahren, wenn er nicht mit sich selbst in ebenjenem ist? Daher finde ich diese Prüfung durchaus als sinnvoll und angemessen.
Krähe beschwert sich, nachdem April ihn gerufen hat, mal wieder darüber, daß sie ihn immer nur ruft, wenn sie seine Hilfe braucht. Das Traurige daran ist, daß er damit leider Recht hat. Sie ruft ihn wirklich immer nur, wenn sie ihn für ihre Zwecke benutzen möchte, und dann läßt sie ihn alleine zurück.
In diesem Fall ist Krähe schon ziemlich frustriert, und April erzählt ihm von einem Comic, den sie sehr mochte. Da würde mich interessieren, ob es diesen Comic (in Aprils Welt) wirklich gibt, oder ob sie sich nur eine Geschichte ausgedacht hat, um Krähe mal wieder dazu zu bringen, zu tun, was sie möchte.
Als April in dem Zimmer außerhalb der Realität bei der alten Frau (also sich selbst?) war, sagte diese ihr, daß sie sich bei ihren Aufgaben helfen lassen muß.
Gut, sie braucht einige Male die Hilfe anderer, aber irgendwie habe ich den Eindruck, daß dieser Ratschlag sich ganz spezifisch auf diese Situation bezogen hat.
Bei allem anderen hatte man irgendwie den Eindruck, daß April es schon schaffen würde oder daß es einen anderen Weg geben könnte. Aber an dieser Stelle, kurz vor dem Ziel, gibt es keine Möglichkeit mehr, außer daß sie sich helfen läßt. Denn wie sie am Ende so richtig sagt, hat sie keine Flügel. Im Prinzip ist an dieser Stelle also Krähe nicht weniger wichtig als April. Sie ist ein Teil des Schicksals, des Gleichgewichts. Und ohne sie könnte letzteres nicht bewahrt werden. So zeigt sich, daß selbst die Kleinen, Mißachteten, denen man keine großen Heldentaten zutraut und sie selbst sich genauso wenig (Krähe hat ja nie von sich behauptet, ein Held zu sein) einen wichtigen, unersetzlichen Teil im Gefüge der Zeit darstellen können.
Wobei mir noch einfällt... Bendet hat ja mal geschrieben, daß es sehr viele Anspielungen auf andere Dinge, vor allem Filme, gibt in TLJ. Das sich in der Schlucht vor dem Turm ausbreitende Nichts hat mich doch extrem an die Unendliche Geschichte erinnert. Und auch vom Namen her sind sich The Longest Journey und die Neverending Story recht ähnlich.
Noch etwas, das ich auffallend fand:
In dem Turm meint April, daß ihr sehr kalt ist.
Als Gordon kommt, meint er, es wäre sehr heiß.
Mir scheint es, als würden die beiden auch hier irgendwie zwei Seiten repräsentieren, zwei Gegensätze.
April gibt ihren Teil (den Talisman) auf, um Gordon wieder zur Vollständigkeit zu verhelfen.
Ich frage mich aber, ob es auch die umgekehrte Möglichkeit gegeben hätte? Hätte Gordon irgendwas aufgeben können, so daß dann doch April zum Hüter geworden wäre?
Auf jeden Fall mußten auch hier wieder zwei Seiten vereint werden, um zu einem Gleichgewicht zu kommen.
Des Weiteren scheint mir am Ende von TLJ wieder einmal ein Klischee erfüllt zu werden.
April muß all diese Abenteuer bestehen, um das Gleichgewicht zu retten. Aber am Ende ist nicht sie es, die in dem Turm verweilt und alles beherrscht, sondern Gordon Halloway.
Die Frauen sind die, die (Leben, Gleichgewicht) schaffen, aber die Männer sind die, die darüber dann herrschen.
In dem ganzen Spiel soll irgendwie gezeigt werden, daß April eine starke Frau ist, die so vieles schafft und Gegner, Hindernisse, sogar sich selbst überwindet. Das klingt an sich recht emanzipatorisch.
Aber letztendlich ist April stets unsicher, läßt sich mehr von den Geschehnissen mitziehen, als daß sie sie selbst zu verändern versucht. Sie zweifelt stets an sich selbst. Und am Ende ist es ein Mann, der der Hüter des Gleichgewichts wird, also praktisch der Herrscher über die zwei Welten und der sozusagen den Lohn für all die Arbeit erhält. Was soll uns das zeigen? Was nun ist die Aussage? Auch der letzte Hüter war ein Mann. Sollte nicht einem Gleichgewicht nach der nächste Hüter dann eine Frau sein?
Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß es nach dieser langen Reise so einfach sein soll. Hüter gefunden. Ende.
Was ist denn nun die Moral der Geschichte? Frauen machen die Arbeit und Männer erhalten die Ehre? Oder gibt es da doch noch eine andere Moral, die vielleicht schwerer zu erkennen ist?
Was meint ihr dazu?