@all: Sorry, dass ich hier wieder mit dieser elenden Diskussion, was eigentlich ein Adventurespiel ist, reinplatze, aber ich fand sie soweit recht erhellend und anregend, und hoffe daher, dass es nicht allzu sehr stört, dass ich sie hiermit fortsetze.
@realchris:
realchris hat geschrieben:
[...]
Dennoch störe ich mich an Deinen Ausführungen zum Thema Reihenfolge vom Autor festgelegt oder nicht.
In einem Adventure ist, aufgrund der Eigenart des Adventures als narratives Medium,* die Reihenfolge der Handlungsstränge, streng genommen, immer festgelegt. Selbst, wenn Du wie bei Monkey Island 2 mehrere Dinge gleichzeitig oder auch in anderer Reihenfolge löst, sind das doch fertige dramaturgische Abschnitte des Autorenteams. Das Adventure ist quasi ne Art Lückentext, ewo in die Lücke das Rätsel als Füllwort tritt.
* Ich würde es tatsächlich eher als Literatur denn als Spiel sehen oder möglicherweise noch spielbare Literatur.
Das mit der absoluten Festlegung ist letztlich unwichtig, lassen wir es besser einfach unter den Tisch fallen. Aber ich denke wir sind uns einig, dass das Maß der Freiheit des Spielers zu Skriptaufrufen vom Autor des Spieles bestimmt wird?
realchris hat geschrieben:Ein Interaktiver Film ist die primitivste Form des Adventures.
Dieser Satz liegt schon einige Beiträge zurück. Ich bringe ihn erneut vor, weil ich glaube, dass er auf den Grund unserer Meinungsverschiedenheit stoßt. Er impliziert, dass das Urgestein aller Adventurespiele...Dragon's Lair ist? Es ist der erste interaktive Film, und wenn interaktive Filme die primitivste Form des Adventures sind...Wir hatten das schonmal, aber ich finde es nach wie vor absurd: du hältst Dragon's Lair für ein Adventurespiel, aber Colossal Cave Adventure für keines.
Das ist allein historisch unsinnig, denn all die Entwicklung im Adventuregenre geht auf Colossal Cave Adventure (CCA) zurück, während ein Einfluss von Dragon's Lair auf das Genre nicht nennbar ist. Dragon's Lair selbst hat gar nichts von der DNA von Adventurespielen, wie es sie zu der Zeit gab. Nicht zu vergessen, dass man Dragon's Lair damals (1983) in einer ganz anderen räumlichen Sphäre vorfand: in der Spielhalle, als Coin-Op-Automat, neben Konkurrenten wie
Spy Hunter,
Q*bert und
Donkey Kong Jr.. In die Spielhalle fand das Adventure nie einen Einzug. Stattdessen war es ein Genre, dass auf Mainframerechnern und Homecomputern sein Dasein fristete.
Zudem: Wenn die primitivste Form des Adventures ein interaktiver Film ist, dann unterstellt dies, dass ein Adventurespiel zwingend audiovisuell ist. Davon kann bei Textadventures aber keinesfalls die Rede sein!
In den 90ern gab es eine verstärkte Blüte des interaktiven Filmes, durch die Verbreitung von CD-ROM-Laufwerken, und im FMV-Rausch entstand eine Kreuzung zwischen dem interaktiven Film und dem Adventuregenre. Aber nichts anderes war es: eine weitere Verschmelzung zweier Genres, die statt fand, nachdem das Adventuregenre schon für anderthalb Jahrzehnte etabliert war, nach all der Entwicklung vom Textadventure zum Grafikadventure, von Tastatursteuerung zu Point & Click, vom Parser zur Verbauswahl. Diese Verschmelzung zwischen interaktivem Film und Adventurespiel führte letztlich zu einer größeren Varietät des Begriff, den man vom Adventurespiel hat.
In der langen Kette an Entwicklungen, die von CCA aus gesehen fortschreitet - ab wann beginnt für dich etwas ein Adventurespiel zu sein? Ist Zork schon ein Adventure? Zork war der Versuch ein Spiel wie CCA zu entwickeln, nur besser. War Mystery House bereits ein Adventure? Durch CCA inspiriert entwarf Roberta Williams mit Mystery House das womöglich erste Grafikadventure. Neben der zuvor üblichen Textein- und ausgabe, fügte Mystery House Bilder hinzu, welche die Räume und Szenen im Spiel illustrieren. Ist King's Quest bereits ein Adventure? Dessen Novum war, dass man einen Charakter durch eine grafisch dargestellte Spielwelt steuern kann. Ist Murder on the Mississippi bereits ein Adventure? Darin wurde der Parser gänzlich abgeschafft und durch eine Auswahl an Befehlen in einem Menü ersetzt. Ist Monkey Island - nun, Monkey Island muss ein Adventure sein, denn es meißelte die Konventionen in Stein von dem, was weitläufig unter einem Adventurespiel verstanden wird.
Du magst den vorigen Paragraph als ziemlich mühselig und unnütz empfinden, vielleicht scheint dir nicht klar, was er mit irgendwas zu tun hat. Doch mein Problem ist: wenn CCA kein Adventure ist, was macht dann Zork zu einem Adventure? Was ist anders an Zork, das es zu einem Adventure macht, aber nicht CCA? Und wenn Zork nach deiner Ansicht ebenso kein Adventure ist, dann stelle dir dieselben Fragen nach und nach mit den folgenden Spielen in der Kette.
Man kann nicht einfach beliebig eine Definition aufstellen und sagen, dass alles, was nicht in sie hineinpasst, nicht jenes Definierte ist. Das Adventurespiel gab es schon, bevor es zum ersten Mal auf formelle Weise definiert wurde. Eine Definition von ihm muss daher explizit erörtern, was zuvor oft "wortlos" intuitiv als ein Adventurespiel verstanden wurde.
Wenn CCA nicht in die Definition eines Adventurespieles hineinpasst, obwohl es klarerweise eines ist, dann ist die Definition unzureichend, um zu bestimmen, was ein Adventurespiel ist, und nicht CCA unzureichend, um ein Adventurespiel zu sein. Ich hoffe einfach mal, dass das keine kontroverse Aussage ist.
Jeder versteht sowieso etwas anderes unter einem Adventurespiel: Manche wollen Myst noch immmer nicht als eines anerkennen, 20 Jahre später! (Nebenbei:
deine Definition schließt es auch aus, da sie ein Inventar verlangt.) Jedem kann man es daher mit keiner Definition recht machen, weswegen es nicht eine einzige wahrhaftige geben kann.
Das Definieren ist eine schwere und teils unmögliche Angelegenheit, hinzukommend, wenn das zu Definierende sich noch immer weiterentwickelt. Und das ist etwas, was wir im Adventuregenre gegenwärtig wieder haben - Weiterentwicklung! Die Gattung der Operette kann man leicht definieren, denn sie ist seit dem frühen 20. Jahrhundert tot. Doch das Adventuregenre, das blüht; daher kann eine heutige Definition vom Adventurespiel schon morgen eine unzureichende sein!