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Test

von  Jan "DasJan" Schneider
19.11.2005
Keepsake
Getestet auf Windows, Sprache Deutsch

Während Microïds seine Unabhängigkeit im kanadischen Montreal nicht verteidigen konnte und nach der Fertigstellung von Still Life vom ebenfalls dort ansässigen Publisher Ubisoft geschluckt wurde hat Yves Bordeleau ein kleines Team um sich versammelt, um dort das Entwicklungsstudio Wicked Studios zu gründen. Das erste Spiel seiner Firma, Keepsake, ist jetzt fertig geworden und feiert auf dem deutschen Markt seine Weltpremiere. Wir haben uns das Spiel näher angesehen und Schwächen, aber auch Stärken entdeckt.

Sag mir, wo die Zaub'rer sind

Lydia ist eine junge Frau, die sich entschlossen hat, auf der legendären Dragonvale-Akademie die Kunst der Magie zu erlernen. Zum einen reizt sie der Gedanke, dort zur Magierin ausgebildet zu werden, noch viel mehr sehnt sie sich jedoch nach ihrer besten Freundin Celeste, die als Kind mit ihrem Vater, dem Direktor der Akademie, in das ferne Tal zog und so von Lydia getrennt wurde.

Also lässt die junge Frau mit der roten Haarsträhne ihr bisheriges Leben hinter sich und begibt sich auf die weite Reise zu der über die Landesgrenzen bekannten Magieschule. Dort angekommen wird sie aber nicht so empfangen, wie sie sich das gewünscht hat. Die Türen des gewaltigen Gebäudes sind verschlossen, weit und breit ist niemand zu sehen und selbst Celeste wartet nicht an dem vereinbarten Treffpunkt. Hier schlüpft der Spieler in die Rolle von Lydia, die zunächst nur einen fahrenden Händler im Wald des Tales findet, der sich darüber wundert, dass heute noch kein angehöriger der Akademie bei ihm gekauft hat.

Die mit dem Wolf spricht

Bald hat es die findige Lydia geschafft, die Türen der Akademie zu öffnen, und auch dort herrscht gähnende Leere. In den üblicherweise belebten Hallen und Fluren findet sich keine Spur der Schüler und Lehrer, die sonst in den Gängen lustwandeln. Schließlich findet sie aber in einem versperrten Schrank einen sprechenden Wolf namens Zak, der behauptet, ein verzauberter Drache zu sein und die Akademie als magische Kreatur eines Lehrers zu bewohnen. Zak steht von da an fest an Lydias Seite und sorgt so für etwas Gesellschaft in der ansonsten menschenleeren Akademie.

Den Rest des Spiels verbringen die beiden damit, das Geheimnis hinter dem Verschwinden der Schüler und Lehrer zu lüften. Der Weg dorthin ist lang, zuerst müssen die beiden drei Prüfungen bestehen, um in den oberen Teil der Akademie vorgelassen zu werden, in dem sie die Verschwundenen vermuten. Dazu wiederum muss ein Zaubertrank gebraut werden, dessen Zutaten erst zu finden sind und so weiter und so fort. In gelegentlichen Visionen erhält Lydia dabei immer mehr Hinweise darauf, was geschehen sein könnte.

Schöner wohnen

Bemerkenswert ist die Akademie selbst, die wohl zu den größten zusammenhängenden Locations gehört, die die Adventurewelt bisher gesehen hat. Der untere Teil erinnert mit seinen zahlreichen Rosetten- und Buntglas-Fenstern, den Spitzbögen und den massiven Steinmauern an eine gotische Kirche, die mit etlichen Gobelins und Wandreliefs mit Drachenmotiven den Geist der von den Wicked Studios eingeführten Fantasywelt verkörpert. Gewaltige Hallen, Kellerräume mit mechanischen Geräten und verwinkelte Gänge verbinden sich mit dem Garten und dem Wald vor dem Gebäude zu einem komplexen Ganzen, bei dem es schon eine Weile dauert, bis man sich darin zurechtfindet.

In der zweiten Hälfte des Spiels hält man sich dann im oberen Teil des Gebäudes auf, einer Gruppe an gewaltigen Türmen, die aus dem Haupthaus der Akademie ragen und untereinander durch quer verbindende Brücken und ein kompliziertes Geflecht an Teleporterplattformen verbunden sind. Hier tritt der magische Aspekt der Akademie stärker in den Vordergrund.

Die 10-15 Stunden (wenn nicht mehr), die der Spieler fast ausschließlich in den hunderten von oftmals scrollenden Hintergründen der Magieschule verbringt werden allerdings durch einen viel zu großen Teil vom bloßen Umherrennen zwischen den Rätseln eingenommen. Die quälend langen Laufwege nehmen der Imposanz des Schauplatzes leider einiges von ihrem Glanz.

Interaktives Rätselheft

Dass Frogster sich Gedanken macht, wie ein Adventure heutzutage am besten an den Mann bzw. die Frau gebracht werden kann, sieht man daran, dass Keepsake unter anderem als interaktive Literatur platziert wird. So wurde der Titel zum Beispiel auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt und mit Lesezeichen beworben. Schaut man sich das Gameplay jedoch genauer an, so kommt man zu dem Schluss, dass Keepsake mehr ein interaktives Rätselheft als ein interaktiver Roman ist. Zwar bleibt die Geschichte bis zum Schluss spannend und die Frage nach dem Grund hinter dem Verschwinden der Akademie-Bewohner motiviert zum Weiterspielen, im Wesentlichen steckt dahinter allerdings eine beachtliche Sammlung an mehr oder weniger typischen Rätselheft-Knobeleien.

Da müssen Knöpfe, die in gegenseitiger Abhängigkeit stehen, in der richtigen Reihenfolge gedrückt werden, Handräder in die korrekte Position gedreht werden, es gilt Symbole zu entschlüsseln und auch ein klassisches Minotaurus-Labyrinth hat seinen Auftritt. Viele der Rätsel sind wirklich originell, was jeden Freund von Rätselheften (und Spielen dieser Art) freuen dürfte, der Schwierigkeitsgrad reicht relativ willkürlich von leicht bis schwer.

So weit die Füße tragen

Zwar trägt Lydia auch ein Inventar bei sich, aufgeteilt in Objekte und Dokumente, bei Bedarf werden ihre Besitztümer aber automatisch angewendet, ohne dass man sich darüber den Kopf zerbrechen muss, was man wo braucht oder wie man Dinge miteinander kombinieren kann. Leider setzt sich die Verlangsamung des durch die langen Laufwege ohnehin schon arg in die Länge gezogenen Spielerlebnisses auch in den Rätseln weiter fort. Anders als viele Hintergründe sind diese nämlich sorgsam animiert, und zwar auf eine sehr gemächliche Art und Weise. Dazu kommt, dass man solche Animationen nicht überspringen kann, sodass einige Rätsel - selbst wenn sie nicht besonders schwer sind - zu Nerven strapazierenden Geduldsproben werden.

Und führe mich nicht in Versuchung

Eine Besonderheit von Keepsake ist das sehr weit reichende Hilfesystem. Mit einem Klick auf ein Fragezeichen in der unteren linken Bildschirmecke erhält man für jedes Rätsel Tipps in vier Stufen. Die erste gibt nur kleine Hinweise darauf, wie das Rätsel funktioniert, die zweite wird etwas deutlicher und die dritte gibt mehr oder weniger eine Anleitung, wie das Rätsel zu lösen ist. Die vierte Stufe schließlich überspringt das Rätsel automatisch und betrachtet es als gelöst.

Klickt man außerhalb eines Rätsels auf das Fragezeichen, verrät Keepsake, wo die nächste Aufgabe auf den Spieler wartet (auch wenn der Spielablauf nicht komplett linear ist, meistens sind verschiedene Rätsel zur selben Zeit lösbar). Das radikale Hilfesystem verlangt dem Spieler einiges an Selbstbeherrschung ab. Je nach dem wie oft es konsultiert wird kann die Spielzeit massiv variieren.

Auch das Speichersystem entspricht nicht ganz der Norm. Keepsake merkt sich nur die letzten 8 Stellen, an denen man gespeichert hat. Lädt man einen früheren Spielstand und speichert erneut ab, so stehen jüngere Spielstände nicht mehr zur Verfügung. Warum die Wicked Studios hier nicht zum bewährten Standard-System gegriffen haben ist unverständlich.

Für eine Handvoll Dollar

Wicked Studios ist ein neues, nicht besonders großes Studio mit begrenzten Ressourcen und Budget. Eine technische Glanzleistung war daher nicht zu erwarten und die hat das Team auch nicht abgeliefert. Viele Details wirken wie Kompromisse und stehen hinter dem zurück, was man heute gewöhnt ist: die Schatten der Charaktere sind einfache Ovale auf dem Boden, die großen Zwischensequenzen, also die Visionen, sind nicht wirklich scharf und im Wesentlichen vertonte Reihen von Standbildern und die dafür gerenderten Charaktere wirken relativ detailarm. Motion Capturing wurde nicht verwendet und allgemein wird bequemerweise ausgeblendet, wenn Lydia z.B. einen Kessel verschiebt, eine Tür öffnet oder andere Dinge tut, für die eigene Charakteranimationen nötig gewesen wären.

Trotzdem die Umgebung keine Rekorde in Sachen Polygonzahl brechen wird, wirkt die Dragonvale-Akademie in sich stimmig. Der Fantasy-Stil wird konsequent über alle Bereiche des Gebäudes durchgehalten, sodass eine konsistente, glaubwürdige Welt entsteht, die an einigen Stellen sogar richtig gut aussieht. In vielen Bildern wünscht man sich aber etwas mehr Bewegung. Wenn überhaupt ist es meist nur das Flackern einer magischen Fackel, die die Starre der Hintergründe durchbricht. Ab und zu werden dann aber doch großflächige Animationen (wenn auch etwas körnig) in den Hintergrund eingebaut, sodass Brunnen, Maschinen oder andere bewegte Dinge für etwas Leben in der Akademie sorgen. Auch kurze Zwischensequenzen werden hier und da eingestreut, beispielsweise sind die Reisen zwischen den Teleporterplattformen in der zweiten Spielhälfte durch kurze Kamerafahrten begleitet. Leider lassen diese sich nicht abbrechen.

Maaaaja (Maja), Maaaaja (Maja), Maja, erzähle uns von dir

Musikalisch wird Keepsake ebenfalls nicht in die Adventuregeschichte eingehen, die Mischung aus passender ambienter Kulisse und sanfter, unaufdringlich-unauffälliger Musik trägt den Spieler jedoch stets atmosphärisch durch die Geschichte. Kaum jemand wird die Themen aus Keepsake in der U-Bahn pfeifen, genau so wird sich aber kaum jemand beschweren, akustisch im Stich gelassen worden zu sein. Auch Soundeffekte haben die Entwickler ausreichend eingebaut, um die Maschinen im Spiel angemessen zu vertonen.

Erfreulich ist, dass die deutsche Lokalisation sehr gut gelungen ist. Von den wenigen Gedichten im Spiel abgesehen macht die Übersetzung einen soliden Eindruck und die Sprecher erledigen ihre Arbeit gut. Die aus Adventures weniger bekannte Maja Sommer gibt mit ihrer Vertonung der Hauptrolle eine sehr gute Figur ab und während die Stimme von Sidekick Zak zunächst nicht ganz in einen Wolf passen will ist auch dessen Synchro sehr gute gelungen - zumal Zak ja eigentlich auch gar kein Wolf ist. Auch die wenigen Nebenrollen überzeugen mit ihren Stimmen.

King's Quest trifft Myst trifft Paavo Nurmi

Keepsake ist sicher ein recht spezielles Adventure und nicht für jeden das Richtige. Man muss schon von sehr ausgeglichener Natur sein, um bei den gemächlichen Dialogen, den zahlreichen Animationen während der Rätsel und den äußerst langen Laufwegen nicht die Geduld zu verlieren, besonders wenn man dem verführerischen Klick auf das Hilfesystem widerstehen will.

Wer damit weniger Probleme hat, klassische Knobeleien oder Varianten davon mag und schon immer gerne Rätselhefte ausgefüllt hat, der sollte sich Keepsake definitiv näher anschauen, denn Keepsake ist seit Langem das erste Adventure im klassischen Fantasy-Thema mit frischen Charakteren, einer motivierenden, spannenden Geschichte, und interessanter, wenn auch etwas einseitiger Rätselkost. Die wenig spektakuläre Präsentation kann durch die spektakuläre Kulisse, der faszinierenden Dragonvale-Akademie, zumindest zum Teil wieder gutgemacht werden. Mit Keepsake ist den Wicked Studios zwar nicht der ganz große Wurf gelungen, immerhin aber ein beachtliches Erstlingswerk, das Lust auf mehr macht.

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

The Moment of Silence hatte lange Laufwege? Wer so was sagt, hat noch nicht Keepsake gespielt. Der wahnsinnig gemächliche Spielfluss des Fantasy-Adventures hat mich schon das ein oder andere Mal ein paar Nerven gekostet, besonders in der ersten Spielhälfte. Die zweite Hälfte war dann zum Glück etwas weniger weitläufig und dichter mit Rätseln besiedelt.
Sehr gut gefallen hat mir dagegen die Geschichte. Die Frage nach dem Verschwinden der Akademie-Bewohner ist schon sehr motivierend und man wird auch im Spielverlauf immer mal wieder mit kleinen Hinweisen, Enthüllungen und anderen Dingen gefüttert, die den Drang, weiterzuspielen, aufrecht erhalten. Auch die vielen, oft recht originellen Rätsel waren immer wieder eine Belohnung.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • Motivierende Handlung
  • Faszinierender Schauplatz
  • Originelle Rätsel
  • Gute Sprachausgabe
  • Sehr, sehr langsam
  • Wenig Bewegung im Hintergrund
  • Unspektakuläre Inszenierung
  • Schwache Technik