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Test

von  Hans Frank
25.06.2003
Amerzone
Getestet auf Windows, Sprache Deutsch

Amerzone basiert auf Ideen, die Benoît Sokal (in der Adventureszene bekannt geworden durch Syberia, in der Comicszene schon fast ein Star) für seine Comics hatte. Ursprünglich sollte Benoîts Verlag Casterman die Produktion des Spiels übernehmen, doch dafür reichten seine Kapazitäten nicht aus. Mit Microïds fand man jedoch einen kompetenten Partner, der die Produktion übernahm und das Egoadventure mit gerenderten Grafiken 1999 veröffentlichte. Trotz schlechter Bewertungen in Fachzeitschriften konnte man mit den Verkaufszahlen zufrieden sein. So zufrieden anscheinend, dass es 2003 zu einer Neuauflage kam - Amerzone & Syberia zusammen in schicker Pappummantelung (siehe Verkaufslink).

Die Story

Ein jahrhundertealtes Ritual der Ureinwohner von Amerzone (einem fiktiven Land in Mittelamerika) war es, den sagenumwobenen weißen Vögeln beim Schlüpfen ihrer Jungen aus einem Ei zu helfen. Durch eine geheime Behandlung des Eies durch die Ureinwohner war es den weißen Vögeln möglich, unversehrt auf die Welt zu kommen. Fehlte diese Behandlung, schlüpften aus dem Ei nur kleine, behinderte, schwarze Vögel mit geringer Überlebenschance. Doch kein Ritual währt für die Ewigkeit. Der Lauf der Zeit bringt Veränderung. Er bringt einen machtbesessenen Diktator mit der Vision, Amerzone vom Entwicklungsland zu einer fortschrittlichen, hochtechnisierten Nation zu machen - der allerdings mit der Zeit verrückt wird, unter anderem weil er den Glauben der Einheimischen an die weißen Vögel nicht ausrotten kann, deswegen seine Ziele in Gefahr sieht und - wie es Diktatoren eben machen - sein Volk mit Waffengewalt unterdrückt. Außerdem gibt es den westlichen Priester, der den Eingebohrenen das Christentum vermitteln will. Auch er will sie von ihrem Glauben an die weißen Vögel 'heilen'. Und wie könnte es anders sein, auch ein Forschungsreisender kommt ins Land. Er jedoch schenkt der Theorie der weißen Vögel Glauben. Doch anstatt die Rituale und Sitten zu achten, bringt er das Ei nach Europa.

Jetzt, 60 Jahre später überkommen diesen Mann, Alexandre Valembois, Schuldgefühle und er möchte das Ei zurück nach Amerzone bringen. Doch er ist zu alt, um diese Reise auf sich zu nehmen. An dieser Stelle kommt der Spieler in die Geschichte. Er ist Journalist und möchte Monsieur Valembois interviewen und besucht ihn deshalb in seinem Zuhause, einem Leuchtturm. Glücklicherweise wurde ein Tagebuch hinterlassen, dass man nun Schritt für Schritt nachspielt. Und so beginnt die wahrscheinlich weiteste und spannendste Geschichte unseres Lebens (bzw. das des Journalisten)...

Atmosphäre

Spätestens nachdem man zur Reise nach Amerzone aufgebrochen ist, schafft es das Spiel sich so wohl zu fühlen, dass man garnichtmehr aufhören möchte zu spielen. Die Egoperspektive und die 360° Grad Rundumsicht tragen ihren Teil dazu bei. Und noch etwas umgeht Amerzone geschickt. Man muss sich nicht mit dem Spielcharakter identifizieren können, denn es gibt keinen. Alles was man von sich selbst weiß ist, dass man Journalist ist. Der Spielcharakter bleibt Gesichtslos, ja sogar Sprachlos. Doch dieses 'Feature' ist meiner Meinung nach weniger gelungen. Sicher - man kann sich besser mit dem Protagonisten identifizieren, aber dafür muss dann auch ein interaktives Dialogsystem weichen, in dem der Spieler selbst den Verlauf des Gesprächs steuert. Diese Kerbe im Spieldesign wird aber durch die faszinierende Story wieder wettgemacht, voll mit Geschichten, Riten, Legenden und Verbindungen zwischen den Hauptpersonen. Leider wird das Spiel zum Schluss hin aber sehr linear, alle Aktionen folgen klar hintereinander, nichts kann mehr parallel gespielt werden und man kommt sich eher so vor wie der Betrachter eines Films. Spaß macht es trotzdem.

Rätsel

Keines der Rätsel in Amerzone ist wirklich schwer. Anspruchsvoll vielleicht, sie beschäftigen auch mal ein paar Minuten, doch schwer sind sie nicht. Aber das ist in Amerzone auch garnicht so wichtig. Es war nicht Benoît Sokals Absicht, schwere Rätsel einzubauen sondern vielmehr, eine spannende Geschichte zu erzählen, deren Spielfluss nicht behindert werden sollte. Was Amerzone aber doch schwerer macht, sind andere Faktoren. An manchen Stellen legt es das Spiel direkt darauf an, dass sich der Spieler verläuft. Wenn man schon aus der Egoperspektive spielt, muss die Umgebung auch so gestaltet sein, dass man sich nicht so leicht verlaufen kann. Wenn sich aber Screens in einer Moorlandschaft oder auf dem Grund eines Sees gleichen, wie ein Ei dem anderen, trägt das nicht zum Spielspaß bei sondern frustriert. Alles in allem wird man nur an den seltensten Stellen wirklich Probleme mit einem Rätsel bekommen. Hier und da muss noch ein Maschinenrätsel gelöst werden, aber das ist auch schon alles.

Steuerung

Die Steuerung erfolgt per Point & Click. Der Mauszeiger ist starr in der Mitte des Bildschirms und die Umgebung bewegt sich um ihn herum. Bei Hotspots verändert sich der Cursor entsprechend (Reden, Benutzen, Richtungsanzeiger, Zoomen, Nehmen, Umblättern, Verlassen). Die Inventaranzeige ist auf einem extra Bildschirm, auf den man leicht per Mausklick kommt. Man findet dort acht freie Plätze - mehr Gegenstände trägt man auch zu keiner Zeit bei sich. Das Navigieren durch die verschiedenen Screens ist meistens sehr einfach (mit Ausnahme einiger Orte, an denen man sich leicht verläuft - sich aber auch leicht wieder orientiert). Die 'Sprünge' zwischen den einzelnen Punkten sind nicht zu weit ausgewählt. Manchmal passiert es aber leider, dass man 'im Vorbeigehen' eine Abzweigung nach Links oder nach Rechts übersieht. Außerdem hat man etwas das Gefühl, wie in den meisten Egoadventures dieser Art, auf einer Art Schiene zu laufen und sich nicht frei bewegen zu können.

Längere Strecken legt man mit einem Gefährt, dem Hydraflot, zurück das Schwimmen, Tauchen, Fliegen und Segeln kann. Gesteuert wird automatisch, der Spieler muss nur die richtigen Koordinaten finden und auf den Treibstoff achten.

Grafik

Wenngleich die Grafik natürlich in heutiger Zeit etwas veraltet aussieht, hat sie dennoch ihren ganz eigenen Reiz und Charme. Die Orte sind alle vorgerendert. Die Grafik ist sehr detailverliebt und wirkt außerdem meistens recht real und lebendig. Hier bewegt sich die Wasseroberfläche, da fliegt eine Möwe durch die Luft und dort bewegt sich eine indianische Maschine. Doch, so schön die Grafik auch sein mag, hat sie auch ihre Schwachpunkte. Manchmal verbringt der Spieler Minuten damit, irgendeinen Gegenstand zu suchen, der nur ein paar Pixel groß ist und sich dann auch noch nur minimal von der Hintergrundfarbe unterscheidet.

Die Zwischensequenzen sind wunderschön animiert. Leider sind sie sehr stark komprimiert und wirken daher etwas pixelig, das war damals noch nicht anders möglich und es ist auch in der wiederveröffentlichten Version so geblieben.

Musik & Sound

Die Musikuntermalung ist gut gelungen, wenngleich die Hintergrundmusik teilweise etwas langweilig wirkt. Sie tritt aber auch nicht störend in der Vordergrund und trägt sehr viel zur Atmosphäre bei. Auch in den Zwischensequenzen ist die Musikuntermalung schön und passend. Die Sounds beschränken sich großteils auf Aktionen die man ausführt, Amerzone kocht in der Hinsicht eher auf Sparflamme.

Lokalisation

Die Lokalisation ist sehr gut gelungen. Alle Texte sind blendend ins Deutsche übersetzt. Auch grafisch dargestellte Dokumente sind komplett übersetzt (leider wirkt die Schrift teilweise etwas undeutlich bzw. schwer leserlich). Leider passen aber die Stimmen der Sprecher teilweise nicht richtig zu den Personen, die dargestellt werden, doch das ist kein so großer Minuspunkt. Ansonsten ist die Sprachausgabe auch sehr gut gelungen, die Dialoge sind interessant und werden nicht künstlich in die Länge gezogen und wirken außerdem lebendig.

Fazit

Amerzone ist ein interessantes Adventure mit tiefgehender Story und mitreißender Atmosphäre. Es hat zwar auch einige Schwächen, ist aber absolut spielenswert. Es ist interessant, sich in die Kultur der Eingeborenen hineinzudenken und das Abenteuer Valembois' zu erleben. Wer andere Werke Benoît Sokals kennt (Syberia, Comics), erkennt auch ganz deutlich seine unverwechselbare Handschrift, mit der er uns durch die nicht erfunden wirkende Geschichte führt. Allerdings sollte ein normaler Adventurespieler nicht mehr als geschätzte 7 Stunden brauchen, um Amerzone erfolgreich abzuschließen. Ein wenig kurz also.

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Für Fans von Egoadventures ist Amerzone schon fast ein Muss. Super Atmosphäre und sehr interessante Story, die sehr gut erzählt wird machen das Spiel zu einem Adventure, dass auch für die restlichen Adventurefans einen Blick wert sein sollte. Die Neuveröffentlichung enthält Amerzone zusammen mit Syberia (beide in DVD Hüllen) in einem schön gestalteten Pappmantel (fast ein Sammlerstück). Der Preis ist günstig und wer Syberia auch noch nicht gespielt hat, der darf getrost zugreifen. Amerzone wurde auch schon auf DVD veröffentlich. Leider ist in dem Paket die CD Version (4 CDs), vielleicht aus Rücksicht auf die noch nicht überall vorhandenen DVD Laufwerke.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • Atmosphäre
  • Story
  • wunderschöne Rendergrafik
  • viele unterschiedliche Locations
  • einfache Steuerung
  • Sprecher teilweise unpassend
  • zu kurz
  • Gegenstände teilweise schlecht sichtbar
  • schlechtes Rätseldesign