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Zeit, erwachsen zu werden (QuerSchläger)
Vom: 20.07.2011
“Ich versuche nicht, meine Denkweise in Bezug auf die Kraft dieser Geschichte zu limitieren, weil es sich hierbei um ein Computerspiel handelt. Ich denke, dass wir Computerspiele erschaffen können, die genau so gut sind wie jede andere Form von Entertainment.“ Wir schrieben das Jahr 1993, als die heutige Adventure-Ikone Jane Jensen diese Worte während der Entwicklung von Gabriel Knight: Sins of the Fathers aussprach – ein Jahr, welches mein Leben verändern sollte. Aufgewachsen mit Larry, Monkey Island und Konsorten konnte ich kaum glauben, was sich da auf meinem Bildschirm abspielte.



Dachte ich zuvor, Adventures seien lediglich ein Transportmittel für humorvollen Zeitvertreib, erlebte ich in Gabriel Knight: Sins of the Fathers das erste Mal eine erwachsene Geschichte auf meinem Bildschirm, die sich mit ihren extrem gut ausgearbeiteten Charakteren, dem fantastisch geschriebenen Plot und einer Atmosphäre zum darin versinken nicht vor Hollywood verstecken musste. Es mag sein, dass ich damals zu jung war, um meine Erlebnisse in ausreichende Worte zu kleiden, doch bereits damals erschien es mir, als habe Jane Jensen das Tor zu einer neuen Welt aufgestoßen. Wie ein Versprechen einer aufregenden neuen Zeit erschienen mir ihre Worte. Eine Zeit, in der talentierte Autoren uns mit erwachsenen Geschichten, psychologisch ausgearbeiteten Figuren und der Provokation von Emotionen ins Erwachsenenalter der Adventures mitnehmen würden.



In der Zwischenzeit sind 18 Jahre vergangen, ich bin mittlerweile 29 Jahre alt und Janes Worte klingen immer noch in meinem Kopf. Nur dass die damals empfundene Vorfreude mittlerweile in Ernüchterung und Enttäuschung umgeschlagen ist. Rückblickend lässt sich festhalten, dass wirkliche Autoren-Spiele nach Gabriel Knight bis heute eine Seltenheit geblieben sind, während uns gerade deutschsprachige Publisher einen pseudo-humorvollen Titel in Comicgrafik nach dem anderen vorsetzen. Und selbst vermeintlich ernstere Titel, die es natürlich ebenso gibt, kommen mit ihren oberflächlichen Figuren und Storys oft so dermaßen leer daher, dass ich mir als erwachsener Mensch schlicht und ergreifend verschaukelt vorkomme.



Es ist nun nicht so, dass es nicht hier und da mal wieder Ausnahmen wie das großartige Overclocked geben würde, aber am Ende des Tages bleiben derlei Titel bis heute die Ausnahme. An der Tagesordnung sind Spiele, die von oftmals mäßig begabten Autoren geschrieben werden, insofern es sich überhaupt um Autoren im klassischen Sinne handelt, die sich mit ihren oft kindlich anmutenden Grafiken an ein Publikum zu richten scheinen, dem ich mich nicht zugehörig fühle. Nun möchte ich sicher niemandem verbieten, sich auf Spiele wie Haunted, Deponia oder Die Viehchroniken zu freuen. Generell liegt es mir fern, dass Sub-Genre der humorvollen Comic-Adventures zu verdammen, nur weil es nicht meinen persönlichen Geschmack trifft. Woran es ganz einfach fehlt, ist ein Gegenangebot an Autoren-Spielen, die sich an ein erwachsenes Publikum richten und mir als erwachsenem Spieler nicht das Gefühl geben, ich bin zur falschen Zeit am falschen Ort.



Kurzum: Ich sehne mich nach wirklichen Emotionen, tiefgehenden psychologischen Konflikten, Charakteren, die sich wie wirkliche Menschen anfühlen und mir nicht nur das Gefühl geben, die völlig oberflächliche Hauptfigur existiert nur, weil es halt irgendjemanden geben muss, dessen Steuerung ich übernehme, um Berge an mehr oder minder kreativen Rätseln zu lösen. Ich hingegen bin nicht auf der Suche nach Beschäftigungstherapie, sondern nach interaktiven Erfahrungen, die mich in ihnen versinken lassen wie in einem guten Buch. Dass es dort draußen kaum jemanden zu geben scheint, der meine Bedürfnisse befriedigt, verdeutlicht dabei eindrucksvoll, dass das Adventure-Medium sich als angeblich storybasiertes Medium nicht mal im Geringsten mit verwandten Medien wie etwa dem Film messen kann und selbigem bis heute um Lichtjahre hinterherhinkt.



Heavy Rain zeigte im letzten Jahr eindrucksvoll, wie es anders gehen kann. Nun könnte man argumentieren, Heavy Rain hatte auch ein Budget, mit dem sich kein Adventure-Entwickler auch nur im Ansatz messen könnte, doch liegt genau hierin ein großer Trugschluss. Denn letztlich hatte Heavy Rain einige Grundtugenden zu bieten, die sich völlig losgelöst vom Budget betrachten lassen. Dass das Auslösen von Emotionen beim Spieler und gut geschriebene Charaktere kein Aspekt des Geldes sind, beweist etwa Dave Gilbert – trotz Comicgrafik – mit seiner Blackwell-Serie eindrucksvoll. Wir reden hier von Grundtugenden, die wir als Spieler eigentlich voraussetzen sollten. Tugenden, die nur wenige Publisher und Entwickler zu interessieren scheinen.



Eine Schlüsselrolle spielt dabei die quasi nicht vorhandene Bedeutung der Autoren. Nur wenn Publisher und Entwickler endlich begreifen, was für eine Macht sie mit guten Autoren in ihrer Hand haben, um interaktive Erfahrungen mit Tiefe zu erschaffen, die das erwachsene Publikum bei der Hand nehmen und gleichzeitig eine neue Zielgruppe erschließen, können wir etwas bewegen. Gute Autoren gibt es dort draußen sicherlich genug, das haben Daedalic beispielsweise bei A New Beginning in Person von Kevin Mentz gezeigt, es fehlt lediglich an der Sensibilität der handelnden Personen, wenn es um dieses Thema geht und das ist nach meinem Ermessen 18 Jahre nach Gabriel Knight ein Armutszeugnis für das gesamte Medium.



In diesem Sinne, liebes Adventure-Genre: Ich bin seit meiner ersten Begegnung mit Gabriel Knight: Sins of the Fathers erwachsen geworden, leider hast du es verpasst, parallel dieselbe Entwicklung zu durchlaufen. Über 20 Jahre habe ich mittlerweile mit dir verbracht, aber es ist an der Zeit für dich, deine kindliche Verkleidung abzuwerfen. Noch halte ich trotz all meiner Enttäuschung und Frustration zu dir, aber es wird der Zeitpunkt kommen, an dem ich mich verbittert von dir abwenden werde, wenn du nicht endlich begreifst, dass es Zeit für einen radikalen Neuanfang ist. Es mag sein, dass mich manch einer aufgrund meiner Worte als Nestbeschmutzer abstempeln wird, aber ich glaube an die Worte von Jane Jensen und ich möchte eines Tages miterleben, dass sie zur Regel werden und nicht nur in seltenen Ausnahmefällen zutreffen! Ingmar Böke