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Goodbye Gameplay - Dreamfall und die Rätsel (QuerSchläger)
Vom: 16.06.2006
Im letzten Jahr kam Fahrenheit auf den Markt. Wer zwischen stupiden Senso-Orgien und anderen Minispielpassagen das eine Rätsel entdeckt hatte, das die Designer in der Spielwelt versteckt hatten, konnte sich schon als kleiner Meisterdetektiv fühlen. Das eigentliche Spiel im "Spiel" musste man mit der Lupe suchen und als Adventure-Gourmet sollte es einem fast die Schamesröte ins Gesicht treiben, wenn man derartige Stumpfsinningkeit bis zum Ende ertragen konnte. Und dennoch hat mich Fahrenheit gefesselt wie kaum ein richtiges Adventure im vergangenen Jahr. Die Inszenierung war so mitreißend, die Geschichte Anfangs so stark und die Erzählweise so originell, dass ich kaum den Ausknopf drücken mochte. Und der fade Beigeschmack, der am Schluss leider blieb, hatte weniger mit der Abwesenheit von Gameplay zu tun, sondern mehr damit, dass die Geschichte gegen Ende doch arg abstruse Purzelbäume schlug. In dieser Hinsicht war Fahrenheit etwas Besonderes, ein Einzelfall, wie ich dachte.



Jetzt habe ich Dreamfall gespielt, den Nachfolger eines meiner Lieblingsadventures. Neben seiner tiefen Geschichte und der überzeugenden Heldin mochte ich The Longest Journey auch sehr für die Heerschar an klassisch-kniffligen Rätseln. Der Nachfolger bietet zwar wieder eine tolle Geschichte, interessante Charaktere und eine sympathische Heldin, die durchaus mehr als die zwei üblichen Argumente vorzuweisen hat, doch sonst wird man als Adventurefan nicht gerade verwöhnt. Zwischen einigen unspektakulären Schleich- und Kampfeinlagen klebt ein kümmerlicher Rest Rätsel, so wie nach einem Karnevalszug noch einige Bonbonreste zwischen durchnässtem Konfetti und Bierglassplittern an den Innenseiten der Bordsteinkanten kleben, nachdem Müllabfuhr und Obdachlose alles irgendwie Greifbare im Müllwagen bzw. in Alditüten davongetragen haben. Wie auf dem Sterbebett aufgebahrt präsentiert sich dieser beschämend triviale Rest in Form von Repariere-den-Watilla- und Bastle-die-Fackel-Aufgaben, als würde man der Jugend von heute noch einmal zeigen wollen, was Großvater damals, in der guten alten Zeit, denn an Spielen begeistert hat, jedoch ohne Gefahr zu laufen, die Pisa-gegerbten Gehirne der Gegenwart ernsthaft zu strapazieren.



Und dennoch: auch Dreamfall hat mich mitgerissen, so sehr, dass ich keine 48 Stunden nach der Installation bereits den Abspann über den Monitor rollen sah. Dreamfall habe ich nicht so intensiv gespielt, weil mich die Herausforderung an den Monitor gefesselt hätte, nicht, weil ich auch noch das nächste Rätsel entschlüsseln wollte. Dreamfall hat mich aus demselben Grund begeistert, aus dem mich spannende Filme begeistern: Eine hervorragende Geschichte wird da gekonnt erzählt, und, wie ich an Beispielen wie Dreamfall und Fahrenheit feststellen muss, das reicht mir, um mich nicht nur 2 Stunden im Kinosessel zu unterhalten, sondern auch 12 Stunden vor dem PC.



Bisher habe ich immer einen Bogen um interaktive Filme gemacht und war froh, dass Kollege Grünwald sich hinreichend stark für dieses Subgenre interessiert, dass Adventure-Treff trotzdem hin und wieder darüber berichtet. Es hat mich nie wirklich gereizt, während eines Films die Frage zu beantworten, ob Sue Allen nun durch das Bleiglasfenster in den brennenden Lavasee springen soll, um Trantor abzulenken, oder ob sie Inspektor Zebok erschießen soll, um das Vertrauen des Bösewichts zu gewinnen - zumal meinem unqualifizierten Eindruck zufolge solche Formate selten gut produziert sind. Vielleicht ist aber auch für Dreamfall "interaktiver Film" das bessere Wort, und mit dieser Art von interaktivem Film kann ich nicht nur leben, davon wünsche ich mir sogar mehr. (Kleine Bitte an die Interaktivität-ist-das-Heil-Fraktion und die Direkte-Steuerung-ist-Teufelswerk-Grobmotoriker: Mit den Hassmails noch einen Absatz lang zu warten.)



Aber. Ich freue mich zwar auf jedes Spiel wie Dreamfall, trotzdem hoffe ich inständig, dass nicht auf Dauer das ganze Genre in diese Richtung abdriftet und der denkende Mensch zur Persona non grata wird. Tendenziell mag es seit der Parserzeit schon deutlich leichter in der Adventurewelt geworden zu sein, ich bin aber froher Hoffnung, dass das immer vielseitigere Gesicht des Genres auch den Spielen Raum bietet, die mit interessanten Rätseln den Geist auf eine Art fordern, die über das Nachvollziehen der Geschichte hinausgehen. Man schaue z.B. nur auf Runaway 2, das klassische, originelle und knifflige Inventarrätsel verspricht und trotzdem zu den am meisten erwarteten Adventures des Jahres gehört. Seit Jahren!



Kurz gesagt: wenn eine tolle Geschichte erzählt wird, dann spielt für mich die Spielmechanik eine untergeordnete Rolle. Gute Bücher haben schließlich auch ein mieses Gameplay. Ich bitte die Entwickler aber, dies nicht als Aufforderung zur Dummifizierung ihrer Produkte zu sehen. Im Gegenteil: Eine tolle Geschichte und tolle Rätsel, das wär mal was!