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Bildungsurlaub am Ballermann (QuerSchläger)
Vom: 01.07.2004
Hach ja, uns geht's schon schlecht. Wäre man doch bloß Fan von Echtzeit-Strategie-Spielen oder Shootern, dann hätte man wenigstens ordentlich was zu zocken. Rollenspieler ginge vielleicht noch. Aber Adventure-Freak?



Seit den glorreichen Tagen unserer angebeteten Alt-Heroen (LucasFarts, Sierra etc.) siecht das Genre "Adventures" ein bisschen dahin. Es ist nicht wirklich tot, es riecht nur komisch. Glücklicherweise gibt es ab und zu ein paar Highlights, die auch kommerzielle Erfolge feiern und damit den Weg für weitere Adventures ebnen. Um größere Käuferschichten zu erschließen, versuchen diverse Firmen, durch Aufweichungsversuche der allgemein akzeptierten Genre-Definition auch Nicht-Abenteurer an "unser" Spielprinzip heranzuführen. Die orthodoxe Adventure-Gemeinde in Form von uns schreit da natürlich entsetzt auf und droht mit Kaufboykott, negativen Forenbeiträgen und überhaupt dem Weltuntergang. Im folgenden möchte ich versuchen, trotz meiner eigenen konservativen Grundhaltung über eine Erweiterung des Begriffs "Adventure" nachzudenken. Bitte bedenken, dass es sich nur um meine persönliche Meinung handelt.



Reinrassige Point'n'Click-Adventures, die kommerziell Erfolge feiern, sind (vorsichtig formuliert) selten geworden. Es gibt sie, denn das Bedürfnis nach intelligent erzählten Geschichten bleibt vorhanden, auch wenn der durchschnittliche Adventure-Konsument den wenigen vorhandenen Statistiken zufolge deutlich älter ist als der durchschnittliche Zocker. Aber hey, da die gleichen Statistiken besagen, dass die ältere Zielgruppe immer zahlreicher wird, und da auch Jüngere hier und da ein Interesse an Geschichten entwickeln, kann man uns nicht völlig ignorieren. Denkbar und zu begrüßen wäre doch eine Flut an Spielen, die uns Abenteurer zufrieden stellt und gleichzeitig die breite Masse zum Kaufen bewegt, zusätzlich zu auf unsere Zielgruppe zugeschnitten Die-Hard-Adventures natürlich. Wie kann man da einen Kompromiss finden?



In der jüngeren Vergangenheit gab es einige Spiele, die versucht haben, neue Käuferschichten zu erschließen. Zum einen haben sie den Weg in die dritte Dimension eingeschlagen, dabei aber weder uns Abenteurer noch die Sonstwas-Gamer völlig zufrieden gestellt, zum anderen wurde versucht, das Adventure-System durch Actioneinlagen für größere Käufergruppen zu erschließen, was bisher auch nicht zu einem allgemeinen Aufschrei der Begeisterung geführt hat. Zur Illustration mal zwei Beispieltitel, die ich persönlich sehr bzw. einigermaßen gemocht habe, die meiner Meinung nach aber als Beispiele für nicht besonders gut bzw. misslungene Implementierung von Action-Elementen in Adventures taugen: Baphomets Fluch 3 und The Westerner.



Beim Westerner ist es konkret eine Einlage: Die Schießbude. Man kann sie als Auflockerung des Spiels betrachten. Dem Hardcore-Abenteurer, der es gewohnt ist, seine Spielwelt in aller Ruhe zu erforschen und durch Nachdenken, Kombinieren und Ausprobieren vorwärts zu kommen, stellt sich die Szene eher als "unter Zeitdruck auf sich bewegende Hotspots klicken" dar. Zumal auf einer der letzten "Computer Bild Spiele"-CDs vermutlich ein deutlich besser gelungenes Tontaubenschießspiel drauf war. Solche Spielimitationen ziehe ich mir bei Bedarf gratis aus dem Netz. In einem 40-Euro-Adventure kann ich ganz gut darauf verzichten.



Baphomets Fluch 3 hatte durch seine "Action-Einlagen" einen positiven Effekt: Man konnte sich nie wirklich in Sicherheit wiegen, da man jederzeit auf eine Action-Sequenz stoßen konnte. Das hat schon Spannung in's Spiel gebracht. Andererseits - was für eine Art von "Action" war das eigentlich, objektiv betrachtet? Eine Zwischensequenz, während der man zum richtigen Zeitpunkt eine ganze Taste drücken mußte. Oder ein pixelgenauer Weg, der unter Zeitdruck zurückgelegt werden muss. Kämen solche Einlagen in Actionspielen vor, hätte der Autor Mühe, sein Werk gratis loszuwerden.



Mein persönliches Fazit: Action-Einlagen in Adventures sind in der Praxis lächerlich. Mini-Spiele, die man sonst nicht mit der Kneifzange anfassen würde, sollen plötzlich das Adventure-Genre aufpeppen. Action-Fans fassen sich verwundert an den Kopf und Adventure-Freaks verzweifeln an ihren verkümmerten motorischen Fähigkeiten. Natürlich sind solche Einlagen nicht von Grund auf böse, aber würden sie das Adventure-Genre revolutionieren, hätten Electronic Arts, Activison und die anderen Global Player wohl wesentlich mehr Adventures als die momentanen null (0) im Angebot.



Andererseits... Sind Action-Einlagen generell schlecht? Formell betrachtet nicht. Gute Geschichten faszinieren immer, und wenn der "Casual Gamer" oder der FPS-Fan mehr geboten bekommt als (aus seiner Sicht) stupide Hotspot-Suche und dadurch in rauen Mengen Adventures kauft, profitieren wir ja auch davon. Doch wie gestaltet man eine Auflockerung der Genre-Definition so, dass action-orientierte Käufer angelockt werden und wir "compassionate conservatives" uns trotzdem nicht die Finger brechen? Im folgenden ein paar Vorschläge, wie man klassische Adventure-Kost mit anderen Genres verbinden und das Endprodukt trotzdem noch guten Gewissens "Adventure" nennen kann.



Einer meiner seltenen Ausflüge in die Welt der Nicht-Adventures war GTA3VC. Als Grobmotoriker haben mich zwar zahlreiche Missionen überfordert, aber der Überbau des Spiels und einzelne Missionen waren sowohl faszinierend als auch zu schaffen. Die Spielwelt im geklauten Auto zu erforschen, ohne jeden Druck durch Missionen - Abenteuer pur. Und die Tussi des Drogenbarons von A nach B zu bringen - kein Problem, man hat ja Zeit. Diese Freiheit, ein Szenario spielerisch zu erforschen, fehlt mir bei Adventures. Die Reaktionen auf GTA3 und vergleichbare Spiele zeigen, dass das Herumcruisen in Verbindung mit der Möglichkeit, konkrete Aufgaben anzugehen, bei Nicht-Adventure-Freaks sehr beliebt ist. Ein weiteres Musterexemplar für actionlastige Fortbewegung bildet die Tomb-Raider-Reihe, z.B. Tomb Raider 2: Neben der ohnehin ansprechenden Fortbewegung auf zwei Beinen konnte man im Motorboot durch die Kanäle Venedigs flitzen, inklusive Stunteinlagen (Rampen) und (z.T verborgenen) Anlegeplätzen. Erforschen, Action und Abenteuer! Nichtlineare Adventures, die die Möglichkeit bieten, an verschiedenen Orten an verschiedenen Handlungssträngen zu knobeln, haben in der Vergangenheit große Erfolge gefeiert (z.B. zahlreiche LucasFarts-Spiele) - warum nicht das Reisen von Ort zu Ort per Mausklick durch Action-Einlagen ohne Erfolgsdruck ersetzen? Durch wirklich erlebtes Reisen per Auto, Flugzeug oder per Pedes? Klar, das würde die Produktion deutlich verteuern, aber das könnte sich durch größere Käuferschichten rentieren. Zumal sich dadurch vielleicht auch die Konsolenspieler erreichen ließen, die für teure Produktionen in Zukunft wohl eine unerlässliche Zielgruppe sind.



In der Theorie lassen sich beliebige Action-Einlagen in Adventures integrieren. Nehmen wir als Beispiel mal eine typische Shooter-Szene - der Held betritt einen Raum, von dem er weiß, dass sich Bösewichte darin befinden, und nietet sie durch gezieltes Mausklicken um. Ein FPS-Fan würde sich über eine solche Einlage freuen, der Adventure-Fan würde sich mangels motorischer Fähigkeiten nach dem X-ten "Game Over"- Bildschirm lauthals beschweren. Zwei Möglichkeiten bieten sich an, um beide Fraktionen zufrieden zu stellen: Zum einen könnte man natürlich eine Adventure-konforme, alternative Möglichkeit zum Lösen des Problems integrieren - entweder ich kille die Bande manuell, oder ich finde einen Weg, sie ohne Mausklickorgie auszuschalten. Solche Alternativen lassen sich allerdings nicht immer finden; ein Gelingen hängt stark vom Plot bzw. der konkreten Szenerie ab. Allerdings gibt es bei LucasFarts und auch bei Tony Tough ein Feature, dass sich hier nutzen ließe: Wenn sich Spiele in zwei verschiedenen Schwierigkeitsstufen spielen lassen, warum nicht in zwei verschiedenen Modi? Modus 1 bietet für die o.g. Beispielszene Action - Fadenkreuz, Gegner, Ballern bis der Arzt kommt. Modus 2 überspringt die Einlage mit Hilfe einer Zwischensequenz. Eine Filmszene zeigt, wie der Held die bösen Buben kaltblütig niedermetzelt. Beide Lager, Abenteurer und Massakerfetenfetischisten, wären zufrieden gestellt.



Die Tomb-Raider-Serie besteht aus eigentlich großartigen Abenteuerspielen. Gut, nachdenken kann man sich schenken. Aber es gibt faszinierende Lokalitäten zu erforschen und spannende Geschichten zu erspielen. Neben pixelgenauen Sprüngen und hammerharten Endgegnern gibt es dort auch zahlreiche Situationen, die selbst ein PnC-Fanatiker meistern kann: Lara wird von popeligen Fledermäusen oder langsamen, unbewaffneten Schlägern angegriffen und zielt dabei auch noch automatisch. Ein paar Mal klicken, und der Gegner ist Geschichte. Abwechslung vom Hotspot-Suchen, der Puls steigt, aber man muss nicht wieder und wieder die gleiche Szene spielen, weil man sie nur durch groben Vorsatz nicht bewältigt bekommt - kann man doch in ein Adventure einbauen, oder? Alleine die Vorstellung, jederzeit auf so einen Gegner treffen zu können, sorgt schon für Nervenkitzel - Beispiel Baphomets Fluch 3.



Eine sehr hilfreiche Waffe in meinem Lieblingsspiel Postal 2 ist das Sniper-Gewehr. In aller Ruhe aufrauchen, das Gewehr schultern, das nichtsahnende Zielobjekt anvisieren und per Mausklick zu seinen Ahnen befördern - stressfreier ist Töten nicht zu haben. Und zack - schon haben wir wieder eine massenkompatible Action-Einlage für Adventures, die uns praktisch keine motorischen Fähigkeiten abverlangt.



Zum Schluss ein schwieriges Thema, um eine weitere Zielgruppe zu erschließen: Rollenspielelemente. Dazu zwei mittlerweile ziemlich unbekannte Beispieladventures, die halbwegs gelungen mit der Thematik umgehen: Shannara und Super Hero League of Hoboken, beide von der seinerzeit wirklich brillanten Firma Legend Entertainment (Auffangbecken für Infocom-Implementoren nach deren Aus). Shannara spielt in einem Land. Innerhalb einer Stadt spielt es sich als reinrassiges Adventure. Außerhalb der Städte steuert man seine Party in Form eines Pixelgewirrs durch die Landschaft und läuft jederzeit Gefahr, auf Monster zu treffen, die man ganz rollenspielmäßig rundenbasiert verkloppen muß. SHLoH läuft genauso ab, nur dass man sich dort innerhalb einer Stadt bewegt und Superheldenimitationen wie den Mann, der durch den Karton hindurch eine Pizza erkennen kann, in seiner Party hat - ein prima Aufhänger für Puzzles. Auf der einen Seite muss man sich wie ein Rollenspieler um seine Party kümmern, sie zusammenstellen, schonen und aufrüsten. Auf der anderen Seite ist man den wirklich allergrößten Teil der Zeit mit Puzzles beschäftigt und muss bei den rundenbasierten Kämpfen nur selten einen Spielstand laden, weil sie relativ einfach sind und an Schwierigkeit passend mit dem Spielfortschritt zunehmen. Für Adventure-Fans sicherlich zu verkraften.



Meine persönliche Meinung: Action-Einlagen in Adventures sind nicht generell zu verteufeln - es kommt auf die Ausgestaltung an. Elegante Methoden sind sicherlich abhängig von den finanziellen Mitteln, aber auch ohne ein großes Budget lassen sich Lösungen finden, die Hardcore-Abenteurer und die Mainstream-Tester von den Printmags gleichermaßen begeistern. Ein wenig Arbeit in die Konzeption eines Spiels muss halt investiert werden. Fürs erste bleibt zu hoffen, dass angekündigte Hybride wie Dreamfall oder Fahrenheit dazu führen, dass "unser" Genre durch leichte Öffnung in Richtung Action traditionelle Rätselkost bietet und trotzdem die breite Masse erreicht, sodass der Nachschub an hochklassigen Adventures sichergestellt wird. Darüber hinaus bleibt es natürlich jedem einzelnen überlassen, durch entsprechendes Kaufverhalten Innovation und gelungene Konzeption zu belohnen bzw. Dutzendware abzustrafen. Hilfreiche Reviews findet ihr hier auf Adventure-Treff.